Forellenquintett
nicht die Leute von Scotland Yard auf Hannah aufpassen, sondern Hannah würde heute zu Violet fahren, die hatte ein altes umgebautes Bauernhaus in Kent und züchtete Hunde und war Jägerin und schoss aus einem Kilometer Entfernung eine Ginflasche entzwei oder aus fünfhundert Meter, so eine war das!
Vermutlich befand sich Hannah jetzt schon auf der Fahrt nach Kent, nein, jetzt noch nicht, in ein paar Stunden, sie ließ sich immer gern Zeit, vor allem, wenn die anderen warteten...
Schluss!, ermahnte sich Tamar, du bist jetzt hier, du achtest auf deinen Weg und auf die Leute, die du siehst.
Sie kam durch kleine ruhige Straßen, mit Vorgärten vor manchen Häusern, vor einem der Gärten maunzte eine Tigerkatze und strich Tamar mit aufgeplustertem Schwanz um die Beine, als sie stehen blieb.
»Geh und such dir einen Kater«, sagte Tamar streng und ging weiter, während sich die Tigerkatze unter eine Berberitzenhecke verkroch und dort ein Staubbad nahm, den Schwanz quergestellt. Ein paar Meter weiter schob sich ein Daimler schräg in eine Einfahrt, eine Tür öffnete sich, Tamar blieb stehen und machte einen Schritt zur Seite, nicht nur einen Schritt, sie war hineingetreten in einen Hauseingang und sah jetzt zu, wie der Fahrer ausstieg und um den Wagen ging und einem gebrechlichen weißhaarigen Mann aus dem Fond auf die Straße half.
Tamar zog die Hand wieder aus ihrem Jackett und verließ den Hauseingang. Als sie an dem Taxi vorbeiging, war der Weißhaarige gerade dabei, den Fahrer zu bezahlen. Es kam Tamar vor, als hätten die beiden innegehalten und ihr nachgesehen.
Sie überquerte den Oeder Weg und ging in nördlicher Richtung weiter, an Geschäftshäusern und eher unansehnlichen Wohnblocks vorbei. Ein Bierfahrer lud Getränkekisten aus und schleppte sie hinkend in einen Supermarkt. Vor einem Obst- und Gemüseladen unterhielten sich zwei Türkinnen, beide mit Kopftuch, und schwiegen, als Tamar vorbeikam. Vor einem Wasserhäuschen standen zwei frühe Biertrinker mit zerstörten Gesichtern, und hinter der Glasscheibe seines Salons wartete ein Herrenfriseur auf Kundschaft und sah betreten zur Seite, als er Tamars Blick auffing.
Allmählich änderte sich der Charakter des Wohnviertels, taufrisch restaurierte Gründerzeitfassaden mit wandhohen, weißen Sprossenfenstern und sandstrahlgereinigten Karyatiden sahen auf Tamar herab und flüsterten ihr die Quadratmetermiete ins Ohr, doch die Adresse, die auf Blochers Zettel stand, fand sie in einem Hinterhof. Neben einem alternativen Computerladen war ein Aufgang, und auf dem Klingelbrett dort standen zwar viele Namen, nur kein einziges Mal »Grützke«, dafür war auf einen handgeschriebenen Zettel ein »Tausendblum« gekritzelt. Tamar gestattete sich ein kurzes Lächeln und klingelte, dann ein zweites und drittes Mal, ohne dass der Türöffner summte oder sich jemand in der Sprechanlage meldete. Doch dann öffnete sich die Tür von selbst, eine junge Frau mit einem Schutzhelm stakste ihr auf Rollerblades entgegen und schob einen dreirädrigen Rennkinderwagen vor sich her.
»Frau Tausendblum - Tabea Tausendblum?«, fragte Tamar und hielt der jungen Mutter die Türe auf. Die schüttelte nur den Kopf und zeigte mit dem Daumen nach oben. Tatsächlich fand sich im fahrstuhllosen Treppenhaus die Wohnung Tausendblum erst im Dachgeschoss.
Tamar blieb vor der Tür stehen und horchte, in der Wohnung schien jemand Stimmübungen zu machen, die Stimme war ein nicht unangenehmer Alt, der unvermittelt in Koloraturen ausbrach. Tamar versuchte zu klingeln, aber die Klingel schlug nicht an. So klopfte sie an die Tür, mit einigem Nachdruck, die Stimmübungen brachen ab, und eine Frau in einem dunkelroten Morgenmantel öffnete. Sie war kleiner als Tamar, und der aufklaffende Morgenmantel ließ einen weichen und fülligen Körper ahnen. Ihre Haare waren lang und schwarz und nass, und sie trocknete sie mit einem blauen Frotteetuch ab. Als sie die Tür öffnete, hatte sie noch zu einem Lächeln angesetzt, das dann aber von einem plötzlich aufwallenden Misstrauen weggewischt wurde.
»Wer sind Sie, was wollen Sie?«
»Frau Tabea Tausendblum?«, fragte Tamar und stellte sich vor. »Ich wollte mit Ihnen über Ihren Besuch in Krakau reden.«
Die Schwarzhaarige, noch immer das Frotteetuch in den Händen, sah sie aus großen dunklen Augen an, dann machte sie einen schwächlichen Versuch, die Tür wieder zu schließen, und während sie es versuchte, starrte sie noch immer auf die Besucherin.
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