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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Aber die hatte bereits einen Fuß zwischen Tür und Rahmen gestellt.
    »Mit jemandem von der Polizei rede ich nicht«, sagte die Frau.
    »Hören Sie sich doch erst einmal an«, schlug Tamar vor, »warum ich mit Ihnen sprechen will.«
    »Sie sollten wieder gehen. Ich werde Ihnen nicht zuhören, und ich werde Ihnen nicht antworten«, antwortete die Frau mit fester Stimme.
    »Das müssen Sie auch nicht«, meinte Tamar. »Manchmal ist Reden gar nicht so wichtig.« Sie zog einen Umschlag aus ihrer Jackentasche. »Ich habe hier einige Fotografien. Ich will sie Ihnen zeigen. Ich muss es sogar. Aber das geht nicht zwischen Tür und Angel. Nicht bei diesen Bildern.« Sie sah die Frau an. »Bitte.«
    Die Frau schien zu horchen, dann sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Habe ich das richtig gehört?«, fragte sie. »Sie bitten? Ich wusste gar nicht, dass Polizisten dieses Wort ›bitte‹ kennen. Von Ihren Kollegen, die mich eine ganze Nacht und einen Tag lang gefilzt haben, kennt es jedenfalls keiner.« Dann trat sie zur Seite und wies auf eine halb geöffnete Glastür. »Treten Sie ruhig ein, Ihre Kollegen haben sich auch nicht geniert. Ich will nur etwas anderes anziehen.«
    Sie verschwand, vermutlich im Badezimmer, und man hörte, wie ein Fön eingeschaltet wurde. Wie es die Schwarzhaarige ihr gesagt hatte, ging Tamar zu der Glastür und weiter in einen großen hellen Wohnraum mit einem Flügel, dessen Deckel aufgestellt war, und mit Fenstern, durch die man über die nördliche Stadt zu der Bergkette des Taunus blicken konnte. Die angeschrägten Wände waren mit weißer Raufaser tapeziert, deren Bahnen sich von den Rändern her bräunlich verfärbten und abzulösen begannen. Tamar trat an eines der Fenster, die Sonne war inzwischen durch den Nebel gedrungen und machte die Staubschicht auf dem Fensterglas sichtbar.
    Der Fön verstummte, Tamar wandte sich den Plakaten zu, die an die Wände gepinnt waren, die Plakate kündigten den Alt Tabea Tausendblum mit »Liedern ohne Worte« an und zeigten die Schwarzhaarige, die doch eigentlich Grützke hieß, etwas jünger und strahlender, als sie sich an diesem Morgen hatte geben wollen. Vor einem der Fenster standen ein Tisch und zwei hölzerne Klappstühle, auf dem Tisch waren Bücher, Zeitungen und Konzertprogramme so zusammengeschoben, dass auch noch ein Tablett mit den Überresten eines Frühstücks Platz gefunden hatte.
    »So tun Sie sich doch keinen Zwang an und setzen sich«, sagte eine Stimme hinter ihr, die plötzlich ein wenig spöttisch klang. Tabea Grützke-Tausendblum war ins Zimmer gekommen, das schwarze Haar noch immer nicht ganz trocken, und unterm dunkelroten Morgenrock trug sie noch immer keinen Büstenhalter. Aber das Gesicht hatte sich ein wenig gestrafft. Sie hat eine Creme aufgelegt, dachte Tamar und fühlte sich ertappt, als sei dies ihre eigene kleine Eitelkeit gewesen.
     
     
     
    E lisabeth und Martin Jehle waren eine halbe Stunde zu früh und mussten gut eine Dreiviertelstunde über den vereinbarten Termin hinaus warten, ehe sie in das Zimmer der Dr. Marielouise Capotta gebeten wurden, die Oberärztin war und durchaus nicht Chefärztin, aber man muss der Zeitung ja nicht alles gegenrechnen.
    Wie hatten die Eheleute die fünf Viertelstunden verbracht?
    Martin Jehle hätte es nicht zu sagen gewusst. Sie waren auf Korbstühlchen in einem kleinen Wartezimmer gesessen und hatten vor sich hin gestarrt, nein: Elisabeth hatte die meiste Zeit zum Fenster hinausgeschaut, Baumkronen waren zu sehen gewesen, die Blätter schon gelb, sie hatte die Hände über der kleinen schwarzen Handtasche gefaltet, und der Daumen der linken Hand lag auf dem Handrücken der rechten und bewegte sich ganz leise hin und her, als wäre da eine Stelle, die es zu massieren gab. Elisabeth schien es nicht zu merken, wenn ihr Mann von der Seite her einen Blick auf sie warf. Er kam sich neugierig dabei vor, wie ein Eindringling...
    Dr. Marielouise Capotta war kaum größer als Elisabeth, kompakt, mit einem schwarz glänzenden, kurz geschnittenen Haarschopf, und betrachtete sie durch eine kleine Drahtbrille, wie sie seit einigen Jahren modisch war.
    »Wie war Ihr Flug?«, fragte sie und fuhr fort, ohne die Antwort abzuwarten: »Ich hätte Ihnen ja geraten, sich ein wenig mehr Zeit zu lassen, aber da hätte ich vermutlich zu viel von Ihnen verlangt.«
    Martin Jehle räusperte sich, und Elisabeth sagte: »Ich würde ihn gerne sehen.«
    »Wir werden das sofort möglich machen«, antwortete

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