Forellenquintett
die Ärztin. »Aber« - sie sah auf ihre Armbanduhr - »im Augenblick hat er noch Maltherapie...«
» Mal therapie?«, fragte Elisabeth Jehle.
Dr. Capotta warf ihr einen scharfen, prüfenden Blick zu.
»Maltherapie, ja. Übrigens ist es ganz richtig, dass Sie das ansprechen. Leider muss ihm irgendjemand diesen Artikel gezeigt haben, der ja auch Sie aufmerksam gemacht hat. Aus meiner Sicht war dieser Artikel recht unglücklich, um es vorsichtig zu sagen, da ist jemand über einen Halbsatz in einem Vortrag von mir gestolpert und hat das ganz unzulässig aufgeblasen, aber das Ende kennt niemand, und vielleicht ist es ein gutes... Nur hat er ziemlich schnell begriffen, dass sich diese Zeitung mit ihm und seinem Klavierspiel beschäftigt hat, und seither rührt er das Klavier nicht mehr an. Sie sehen, er ist alles andere als einfach. Wir sollten uns also erst einmal setzen, denn ich muss mit Ihnen einige Dinge klären...« Sie ging wieder hinter ihren Schreibtisch und wies auf die beiden Stühle, die davor standen. Etwas zögernd, dann aber gehorsam folgten die Eheleute.
»Wir haben hier einen Patienten«, fuhr die Ärztin fort, »dessen Namen und Identität wir nicht kennen und der nicht unerheblich traumatisiert ist. Das bedeutet: Er braucht unsere ärztliche Hilfe, und diese Hilfe muss zunächst Vorrang haben vor allem anderen.«
»Sie sagten«, wiederholte Elisabeth, »wir würden ihn sehen können...«
»Sie sollten mir wirklich zuhören«, erwiderte die Ärztin, »nur ganz kurz... Ich sagte Ihnen bereits, dass unser Patient - den wir Andreas nennen - traumatisiert ist. Aber darüber können wir nicht mit ihm kommunizieren. Das bedeutet: Wir wissen nicht, was er von dem versteht, was wir sagen. Er lebt in einer Welt, die uns verborgen ist. Aber wir wissen auch, dass er auf Fremde mit Abwehr reagiert. Wie immer seine Welt jetzt beschaffen ist - es gibt für ihn offenbar Schlimmeres. Das Fremde ist eine Gefahr. Zunächst gilt das auch für Sie. Wenn Sie zu ihm gehen, sind Sie - was immer Sie früher gewesen sein mögen - erst einmal Fremde...«
Wieder räusperte sich Martin Jehle.
»Und warum nennen Sie ihn Andreas?«, fragte seine Frau.
Dr. Marielouise Capotta lachte kurz auf, dann schüttelte sie den Kopf. »Ein Scherz eines unserer Pfleger. Er meinte, wir könnten ruhig Andreas zu ihm sagen, weil er ja doch jemand Anderes sei.«
»Ein Scherz...«, wiederholte Martin Jehle, und der Anflug einer Röte legte sich auf sein Gesicht.
»Sagen Sie uns bitte, wie wir uns dann verhalten sollen«, fiel ihm seine Frau ins Wort. »Ich meine, wenn wir ihm fremd sind.«
»Eine Anweisung kann ich Ihnen nicht geben. Wenn er abwehrend reagiert, bedrängen Sie ihn nicht. Wenn Sie erkennen, dass er nicht Ihr Sohn ist, bleiben Sie freundlich. Wenn Sie wissen, er ist es... dann müssen Sie selbst wissen, was er will. Fallen Sie ihm nicht um den Hals, wenn er es nicht will, und tun Sie es, wenn es das ist, worauf er gewartet hat.« Sie wandte sich an Martin Jehle. »Sie rauchen nicht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Er schon.« Dr. Capotta öffnete ihre Schreibtischschublade, holte eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug heraus und schob beides über den Tisch.«Hier. Bieten Sie ihm eine an, aber nur, wenn es sich ergibt.«
U nd wo sollen mir diese Frauen begegnet sein? In Krakau?«
Die Sängerin Tabea Tausendblum betrachtete die beiden Fotos, das eine ein vergrößertes Passbild von Milena Kwiatkowski, das andere eine Porträtaufnahme der Malerin Hannah Thalmann. Sie legte das Passbild zur Seite und sah sich noch einmal das Foto von Hannah an, einer Hannah, deren Haar noch kürzer geschnitten war als sonst und die den irrlichternden Blick aus den ungleichen Augen direkt in die Kamera gerichtet hatte.
»In Krakau, im Stadtteil Kazimierz«, antwortete Tamar. »Sie haben doch in einem Jazzkeller dort gastiert? Der Keller gehört zu einem Café. Vielleicht haben Sie eine der Frauen dort gesehen.«
»Interessante Frau«, sagte die Sängerin und hatte noch immer das Foto Hannahs in der Hand. »Aber woher wissen Sie das mit dem Jazzkeller und dem Café?«
»Ich war dort.«
»Aber in keinem meiner Konzerte?« Plötzlich lächelte sie, und das Lächeln war ein ganz klein wenig kokett.
»Nein.«
»Schade«, meinte die Sängerin und reichte Hannahs Foto zurück. Das Lächeln war verschwunden. »Es kann übrigens durchaus sein, dass diese Frau zu einem meiner Abende gekommen ist. Eigentlich bin ich sogar ziemlich
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