Forellenquintett
ihn an. »Weißt du, was mich wundert?«
»Du fragst grad viel.«
»Ich bin schon mit manchem Kerl im Bett gewesen. Aber noch mit keinem, von dem ich vorher so sicher gedacht hab, niemals mit dem, um keinen Preis.«
»So?« Hoflach hob - wie bei einer gymnastischen Übung - den Kopf und suchte in dem großen Wandspiegel, der gegenüber von Elkes französischem Bett hing, ihren Blick. »Und warum jetzt doch?«
»Die Geschichte, wie dein Kroate oder was er ist, dem Professor Windisch den Wasserstrahl auf die Wampe knallt, das war’s. Natürlich wär mir der Kroate lieber gewesen, aber man nimmt, was kommt.«
»Das war gescheit. Der Dragutinovic ist ein mageres Kerlchen, trotzdem gut verheiratet, und die kroatischen Weiber sollen ziemlich fix mit dem Messer sein.«
»Einmal muss sowieso Schluss sein«, antwortete Elke und betrachtete sich selbst im Spiegel. »Glaubst du...?« Sie brach ab.
»Eher nicht«, antwortete Hoflach. »Aber du bist gerade ein wenig sprunghaft. Was soll ich glauben oder nicht?«
»Diesen Zeitungsartikel, den du mir im Alten Schulhaus gezeigt hast... Von dem Pianisten, der sein Gedächtnis verloren hat...«
»Grad lachen tät ich«, antwortete er, »wenn es wirklich der Bastian von damals wäre. Und in der Zehntscheuer gäbe es ein Konzert mit dem heimgekehrten Sohn, und der Schultes begrüßt die Leute, und der Professor Carl-Maria Windisch macht den Ansager, und alle Weiber und Kinder heulen vor Rührung...« Er unterbrach sich. »Nein, lachen tät ich nicht. Nicht wirklich. Heute Morgen hab ich beim Jehle diese Zeitung gekauft, das ist ein alter müder komischer kleiner Mann geworden, und auf dem Ladentisch lag die Unterschriftenliste gegen das Aeschen-Center, und ich hab so getan, als ob ich sie nicht sehe, und hab ihm eine Gratiskarte für die Waschanlage aufgedrängt, blöd, was? Bloß weil er mir leidgetan hat.«
»Dass dir wer leidtut, glaub ich nicht«, sagte Elke ruhig. »Aber dieser Mann in Berlin - das richtige Alter hätte er.«
»Das wäre dir wichtig, dass es der Bastian ist?«, fragte Hoflach und hob wieder den Kopf, um ihren Blick im Spiegel zu suchen.
»Warum soll mir das nicht wichtig sein?« Sie hatte den Kopf zur Seite gewandt.
»Geht mich auch nichts an«, lenkte Hoflach ein. »Außerdem ist er’s nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil das Leben so nicht spielt.« Hoflach ließ sich wieder aufs Kissen fallen. »Immer fällt das Butterbrot mit der fetten Seite auf den Perser. Aber hast du schon mal gesehen, dass eines zurückspringt?«
»Vielleicht hast du Recht.« Sie beugte sich nach vorne und zog sich den Pullover aus. »Mir fällt ein, dass wir gar nicht mehr soviel Zeit haben. Du musst ja noch zum Großhändler, tote Fische kaufen.«
T amar hatte sich mit ihrem Latte Macchiato an ein Tischchen zurückgezogen, das durch einen Verkaufsstand mit fabrikneuem Kochgeschirr von den anderen abgeschirmt war. Sie kam nur selten in dieses Steh-Café am Ausgang des Nördlichen Münsterplatzes, obwohl es günstig zum Neuen Bau lag. Das hatte nichts mit dem Kaffee zu tun, es war eine Generationenfrage. Viele ihrer Kollegen, die jetzt auf den Ruhestand zugingen, tranken ihren Kaffee dort. Tamar vermutete, dass ihnen der Besuch eines regulären Cafés an einem helllichten Arbeitstag als ungehörig erschienen wäre. Vielleicht hatten sie auch in langen Dienstjahren verinnerlicht, dass Beamtengehälter für anderen Luxus als den eines Stehcafés nicht ausreichen.
Blocher kam kurz nach drei. Das eine oder andere Mal hatte ihn Tamar in Augenblicken der Schwäche erlebt. Dann hatte er müde und verwundbar ausgesehen. Jetzt aber schien er wieder ganz der in seiner Sturheit gepanzerte Bulle zu sein, der sich zu ihrem Tisch durchschob, als suche er nach der nächsten Tür, um sie mit der Schulter aufzubrechen.
Dabei trug er nur eine Tasse Kaffee vor sich her.
»Wenn wir was zu bereden haben, muss das da drüben niemand wissen«, sagte er und machte eine Handbewegung, die zum Münsterplatz und dem Neuen Bau dahinter zu zeigen schien.
Warum eigentlich nicht?, dachte Tamar, nickte aber nur.
Er setzte die Tasse ab, die in seiner Hand freilich eher wie ein Espresso-Tässchen aussah, und betrachtete abwägend den Zuckerstreuer. »Das ist eine ziemliche Kiste, Mädchen, die ich dir da aufmachen soll«, sagte er und warf ihr einen Blick aus gelblichen, blutunterlaufenen Augen zu.
»Hast du sie denn aufgekriegt, alter Mann?«
Er trank einen Schluck ungesüßten Kaffee
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