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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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fragwürdigen Bodensatz entdeckt. »Aber wer interessiert sich schon für die Kids aus den unteren Klassen? Niemand. Und dann ist er ja auch nach Friedrichshafen ins Zeppelin-Gymnasium gegangen und wir in die Realschule.«
    Tamar nickte. Welche anderen Schüler hatte sie gerade noch nennen wollen? Später, entschied sie dann. »Hatten Sie da nicht den gleichen Schulbus?«
    »Wir sind mit dem Zug gefahren. Aber ich hab natürlich immer gewusst, wer der Bastian Jehle war. Dass er Pianist werden wollte. Oder sollte.« Sie verzog ein wenig das Gesicht, als sei sie es, der man zugemutet hatte, Pianistin werden zu sollen. »Wir haben hier einen Klavierlehrer am Ort, einen Carl-Maria Windisch. Eine Freundin von mir hat auch immer zu ihm gehen müssen, und irgendwann haben wir herumgealbert, dass wir eine Mädchenband gründen und einen Song über die Jungs herausbringen, die alle Nieten sind, ausnahmslos, und die Audrey - so hieß die Freundin -, die sollte auf dem Klavier eine Melodie dazu ausprobieren, das wär ja wirklich nicht zu viel verlangt gewesen, aber nichts, kein Ton! Ein Albumblatt für Elise, damit hätte sie vielleicht dienen können, dabei war es eine ganz Kesse. Damals.« Sie lachte unfroh. »Warum tut man Kindern so etwas an?«
    »Dieser Bastian Jehle hat das auch so erlebt?«
    »Weiß ich nicht«, antwortete Marlene Ruoff. »Vielleicht war er sogar begabt, er hat mal zur Eröffnung einer Vernissage in der Zehntscheuer gespielt, ich war auch dort.« Wieder betrachtete sie den leeren Becher. »Meine Großmutter war hier bei der Gemeinde angestellt, im Einwohnermeldeamt, und wenn ein Empfang war oder ein Konzert oder eben eine Ausstellung, hab ich oft ausgeholfen, hab Sekt angeboten oder Brezeln oder Käsegebäck...« sie nahm ihre Uniformmütze von der Ablage und bot sie auf der ausgestreckten Hand Tamar an, mit einem angedeuteten Knicks, »... so ungefähr. Einmal gab es eine Vernissage mit einer Malerin, die hat Bilder zu Kinderliedern gemalt, das heißt, Kinderlieder waren das eher nicht, nach den Bildern zu schließen, ziemlich scheußliches Zeug, eines zeigte ein Kind, das verhungert war, und die Mutter steht dick und fett daneben und redet bloß, und der Bastian hat dazu die Lieder spielen müssen.«
    »Und niemand hat gesungen?«
    »Nein«, antwortete Marlen Ruoff und runzelte die Stirn, »mir ist das damals gar nicht aufgefallen, dass jemand dazu hätte singen sollen. Ich weiß nur, dass ich das als ziemlich pervers empfunden hab, das Bild von dem verhungerten Kind, und ich muss dann die Käsehäppchen herumreichen.«
    »Und Bastian Jehle«, fragte die Kommissarin, »hat der da einfach mitgespielt, hat er sich geniert, oder war er vielleicht so etwas wie Klein-Mozart in Aeschenhorn?«
    Marlen Ruoff warf einen Blick auf die Kommissarin, deren längliches Gesicht mit der schmalen geraden Nase vielleicht nicht angespannt, aber blass und fast ein wenig ausgezehrt wirkte, mit Falten um die kühlen grauen Augen.
    »Wenn ich ehrlich bin - ich hab keine Ahnung. Verstehen Sie, der saß da in seinem komischen schwarzen Anzug, ein dressierter kleiner Affe, und am nächsten Tag würde er wieder mit dem Fahrrad für seinen Vater die Illustrierten ausfahren, das war auch so etwas Abgerichtetes, ich glaube, er tat mir einfach leid.«
    »Und als er dann plötzlich verschwunden ist?«
    Marlen Ruoff zuckte mit den Schultern. »Zuerst haben wir das nicht ernst genommen, wissen Sie... Wenn ein Mädchen verschwindet, das ist etwas anderes. Aber wer hätte schon etwas von dem kleinen Jehle wollen können? Das konnten wir uns nicht vorstellen.«
    »Und später?«
    »Dann ist es uns schon nachgegangen... Dabei haben wir gar nicht viel darüber geredet, wir trauten uns nicht oder aus sonst einer merkwürdigen Scheu. Auch im Städtchen ist es kein Thema gewesen, es war, als ob es sich nicht gehört, dass so ein Kind verschwindet. Und trotzdem - ein paar von uns, wir haben selbst nach ihm gesucht, auf eigene Faust, verstehen Sie?«
    »Sie waren auch dabei?«
    »Ja.« Sie lachte verlegen. »Ich dachte - ach, ich weiß nicht mehr, was... Vermutlich hab ich die Retterin spielen wollen, diejenige, die ihn findet und zurückbringt und dann wieder geht, als sei sie Lucky Luke.«
    »Das kann ich gut verstehen«, sagte Tamar und trank ihren Kaffee aus. »Nur haben wir jetzt ein Problem. Ich muss jetzt zu den Jehles, und vor allem muss ich mir diesen heimgekehrten Sohn ansehen. Ich möchte aber nicht, dass es so aussieht, als wollten

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