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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Locken sind nie praktisch.«
    »Praktisch!«, echote ihre Großmutter. »Immer fragen sie mich hier, wann du denn mal heiratest. Wenn du so weitermachst, kriegst du nie einen Mann.«
    »Das ist mir vielleicht gar nicht so wichtig.«
    »Tu nicht so«, kam die Antwort. »Geht es dir wirklich gut?«
    »Ja, Mutter. Aber du musst auch etwas trinken«, sagte Marlen.
    Lisa Ruoff nickte und nahm die Kaffeetasse und trank einen Schluck.
    »Du bist so lieb zu mir«, sagte sie und tastete nach der zusammengeknüllten Serviette, um sich den Mund abzuwischen. »Das wär schlimm, wenn ich dich nicht mehr hätt, du bist mein liebstes Kind, ich hab immer weinen müssen, wenn ich an die Leute von gegenüber denk, an den Bub, der ertrunken ist, aber jetzt ist er wieder da, und keiner muss weinen...«
    Sie versuchte, mit der Gabel ein Stück vom Kuchenrücken zu nehmen, aber der rutschte ihr auf dem Teller weg. Marlen nahm ihr die Kuchengabel ab und zerteilte den Rest des Kuchens.
    »Du bist lieb«, sagte ihre Großmutter. »Aber ich weiß wirklich nicht, wie das geht, erst ist das Kind ertrunken, dann ist es wieder da...«
    »Das hat niemand gewusst, Mutter, ob der Bastian ertrunken ist.«
    »Du hast Recht, Bastian hat der Bub geheißen, die Olga hat es immer davon gehabt, wie schrecklich das ist, der arme Bub, der hat ins Wasser müssen! Wie viele Mädchen ins Wasser gegangen sind, noch zu unserer Zeit, davon hat sie nie geredet, immer nur von dem Bub, wie hast du gesagt, dass der geheißen hat oder heißt?«
    »Bastian.«
    »Und das in einem fort, weißt du, das ist ganz schrecklich bei den alten Leuten, dass sie nie aufhören können, wie eine Uhr, wenn sie einmal aufgezogen ist, dann rasselt sie alles runter, von dem armen Buben, und wer sich da alles noch ein Gewissen machen muss, in einem fort...«
    Marlen Ruoff sah sich vorsichtig um. Sie war allein am Fenster mit ihrer Großmutter, die Frau, die an der Theke bediente, war in die Küche gegangen, ein einzelner alter Mann las in einer zerblätterten Illustrierten.
    »Wer, sagt die Olga, soll sich ein Gewissen machen?« Sie sprach - so weit es möglich war - mit gedämpfter Stimme, denn ihre Großmutter hörte nicht mehr gut.
    »Was für ein Gewissen?«, kam die Antwort.
    Wieder sah sich Marlen um. Sie hob die Stimme etwas an. »Die Olga sagt das. Dass sich jemand ein Gewissen machen muss. Wen meint sie damit?«
    »Das weiß ich doch nicht. Die Olga redet so viel, wenn die einmal aufgezogen ist, die alte Standuhr, dann rasselt sie das herunter, und du kannst bloß gehen oder warten, bis sie fertig ist, dabei weiß kein Mensch, was die wirklich gesehen hat, die Olga hat noch nie gute Augen gehabt, aber du glaubst es nicht, die ist so eitel und trägt keine Brille, also, was soll das schon heißen...«
    Marlen sah aus dem Fenster. Auf der Uferpromenade war eine einzelne Passantin aufgetaucht, eine Frau in einem Mantel mit hochgeschlagenem Kragen. Sie war an der Mauerböschung stehengeblieben und sah auf den See hinaus.
    »Mutter«, unterbrach sie den Redefluss, »meine Kollegin wartet, ich muss weiter.«
     
     
     
    D er Wind trieb graugrüne boshafte Wellen vor sich her, bis sie in ohnmächtiger Wut gegen die Ufermauer klatschten, weil zu mehr die Kraft nicht reichte. Kommissarin Tamar Wegenast ließ sich und ihre Lungen vom Wind durchlüften. Ihre Gedanken folgten dem Kommen und Zerfließen der Wellen, woran denkt man, wenn man dem See zusieht? Man braucht nichts zu denken. Der See ist, und das genügt ihm. Die Luft roch weich und moorig. Rasche Schritte näherten sich.
    »Haben Sie lange warten müssen?«
    Die Stimme neben ihr klang gehetzt. Wieso gehetzt? Wer jetzt keine Zeit hat...
    »Nein.« Sie drehte sich um und sah Marlen Ruoff an. »Wie geht es Ihrer Großmutter?«
    »Ach«, antwortete Marlen Ruoff, »sie hat vor acht Jahren einen Schlaganfall gehabt, seither ist sie hier im Stift, wie wir sagen... Sie hat noch nie so schrecklich viel von dem mitbekommen, was mich beschäftigt, aber jetzt wird es immer weniger, sie fragt mich, wie es mir geht, und ich antworte, es geht mir gut, Mutter, und keine zwei Minuten später fragt sie wieder, weil sie die Antwort schon vergessen hat.«
    »Sie nennen sie Mutter?«
    »Sie hat mich aufgezogen. Meine richtige Mutter ist kurz nach meiner Geburt nach Kanada gegangen.«
    Ohne sich abzusprechen, hatten sie gemeinsam den Weg über die Uferpromenade eingeschlagen.
    »Darf ich fragen, ob Sie wirklich mit Bastian gesprochen haben und wie es

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