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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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hatte?«
    Der Alte murmelte etwas, das nach Ablehnung oder Nicht-Wissen klang, aber dann war die Stimme der Alten Frau zu hören.
    »Doch, Martin. Ich hab es dir immer gesagt. Da war etwas. Die ganzen Tage schon. Er war...« Die Stimme wurde unverständlich.
    »Sie sagen, er hat sich zurückgezogen...« Das war wieder die Stimme der Besucherin. Der Mann hinter der Tür beschloss, dass ihn das alles nichts anginge. Vorsichtig zog er sich zurück, bis er wieder im Balkonzimmer war. Behutsam schloss er die Tür, ging zur Schlafcouch und legte sich hin.
    Was sonst sollte er tun? Die Polizei wollte also nicht glauben, dass er derjenige war, wofür ihn die beiden Alten hielten... Und wofür hielten sie ihn? Für ihren Sohn Bastian, das heißt, die Alte Frau tat das offenbar, bei dem Diabetiker war er sich nicht so sicher. Peinlich war es so oder so, aber was will einer, dem man Schokoladenpudding mit Schlagsahne vorsetzen darf, schon anderes erwarten? Aber hatte vielleicht er den Pudding bestellt oder den läppischen Namen Bastian? Nichts davon war seine Idee gewesen, und diese beiden Alten hatte er sich auch nicht ausgeguckt.
    Die Wohnzimmertür ging auf, Schritte näherten sich, holte ihn jetzt die Polizei ab?
    Nichts erwarten, nichts befürchten. Schweigen.
    Es klopfte, kurzes Warten, dann öffnete sich die Tür, der Alte streckte seinen Kopf herein und winkte ihm.
    Er schwang seine Beine von der Couch und stand auf. Tun, was sie von einem wollen.
    Er folgte dem Alten ins Wohnzimmer. Eine große, noch junge Frau stand auf und wurde beim Aufstehen noch größer. Sie war schlank und trug kastanienbraunes, im Nacken hochgestecktes Haar. Es war diese Art von Frau, die er noch nie hatte leiden können, weil ihre bloße Erscheinung deutlich machte, dass jedenfalls er nicht gefragt war.
    Bei dieser da war das Signal noch ausgeprägter.
    Sie stellte sich vor, Tamar Wegenast, Kriminalbeamtin, sie begann zu reden, er machte sein Gesicht, als höre er nicht und verstehe noch weniger und warte nur, dass er wieder gehen dürfe. »... und würden gerne etwas mehr wissen über die Umstände, unter denen Sie vor siebzehn Jahren Aeschenhorn verlassen haben...«
    Die Stimme klang kühl und sachlich, so, als wäre keine Berechnung darin, aber er wusste es besser.
    »Wir wollen Sie nicht bedrängen, wir respektieren, wenn hier Dinge berührt werden müssten, über die Sie sich nicht äußern wollen oder können. Ich will Ihnen nur deutlich machen, dass wir Ihnen jederzeit als Gesprächspartner zur Verfügung stehen.«
    Der Mann versuchte, durch die Frau hindurchzusehen, bis er plötzlich begriff, dass dies ein Fehler war. Er durfte keine Ablehnung zeigen. Sonst verriet er sich. Niemand muss Polizisten mögen. Aber wenn man zeigt, dass man sie nicht mag, dann zeigt man auch, dass man weiß, wer sie sind.
    Er hob den Kopf und sah der Polizistin in die Augen, sie waren grau und betrachteten ihn sehr aufmerksam, vielleicht sogar mit einem Funken Genugtuung. Hatte sie begriffen, dass er begriffen hatte?
    Schließlich war die Frau es zufrieden und steckte dem Alten zum Abschied eine Visitenkarte zu. Dann reichte sie ihm die Hand, er zögerte, tat so, als ob er erst jetzt begreife, und legte seine Hand wie einen Lappen in die ihre.
    Das nur deshalb, weil er wusste, dass viele Leute diese Art von Händedruck hassen, und diese Frau tat es vermutlich auch. Irgendwie sah sie so aus.
     
     
     
    D ie Sonne war verschwunden, und aus Westen hatte sich eine Wolkenfront vor den Säntis geschoben. Aus der Cafeteria im Erdgeschoss des Stifts sah man durch hohe Bogenfenster auf Taxushecken und auf die verlassene Uferpromenade vor der grauen Wand des Sees. Lisa Ruoff saß in ihrem Rollstuhl am Tisch, etwas schief über den Teller mit dem Apfelkuchen gebeugt, den sie mit der Kuchengabel in der rechten Hand zerstocherte, um irgendwann einen einzelnen Brocken, der ihr nicht von der Gabel fiel, zu ihrem Mund zu führen. Der Teller stand auf einer Plastikunterlage, damit er auf dem Resopaltisch nicht verrutschte. Seit ihrem Schlaganfall war die linke Hand zu einer hilflosen, nach innen gekrümmten Faust verkrampft.
    »Und wie geht es dir?«, fragte sie kauend.
    »Gut geht es mir«, antwortete Marlen Ruoff. Ihre Großmutter hatte sie das jetzt zum dritten oder vierten Mal gefragt.
    »Das ist schön«, antwortete Lisa Ruoff. »Aber deine Frisur gefällt mir nicht. Du musst deine Haare nicht verstecken. Du hast so schöne schwarze Locken.«
    »Es ist praktisch so.

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