Forellenquintett
wir seine Identität überprüfen.«
»Wenn Sie allein hingehen wollen, ist das für mich kein Problem«, antwortete Marlen ruhig. »Wir haben ja gerade gesehen, dass frühere Schulfreunde nicht so schrecklich willkommen sind.«
D en Kaffee gab es wieder im Wohnzimmer, an dem runden Tisch, der auf seltsame Weise mit dem ovalen Stuckornament der Decke rivalisierte. Die Möbel sahen aus und rochen, als würden sie mit Bienenwachs poliert, und die Stores dämpften den Anblick des Nachmittags draußen oder das Draußen überhaupt.
Mit einem seltsam nachsichtigen und dann wieder verschwörerischen Lächeln hatte ihm die Alte Frau einen Schokoladenpudding mit Schlagsahne hingestellt; in der Charité hatte es das sonntags gegeben. Ihr Mann hatte geistesabwesend zugesehen, vielleicht auch ein wenig erbittert, und sich dann wieder irgendwelchen Schriftsachen zugewandt, offenkundig hatte er Diabetes und bekam deshalb keinen Pudding. Seltsam, Diabetiker neigen zu Wutanfällen, aber den Auftritt mit dem Totenkopf hatte der Alte Mann fast gelassen hingenommen, mit einem Anflug von verständnisvoller Erbitterung nicht über ihn, sondern über die beiden Besucher.
Egal, dachte er, und begann den Schokoladenpudding zu löffeln, alle Tage ist nicht Sonntag, wenn dies denn ein Sonntag ist. Ewig konnte er sich hier nicht als der heimgekehrte Sohn mit Schokoladenpudding füttern lassen. Nicht jeder Besucher würde sich von einer Halloween-Maske verscheuchen lassen. Irgendwann mussten diese Leute, die jetzt für ihn verantwortlich waren, sich etwas Neues ausdenken.
Das Telefon schlug an, der Alte sah seine Frau an, die aufstehen wollte. »Lass nur«, sagte er und legte die beiden Schriftstücke, die ihn beschäftigt hatten, auf den Tisch. Dann stand er auf, aber so, als ob es ihm beschwerlich sei, und ging zu dem kleinen hochbeinigen Tisch, auf dem sich ein Telefon befand. Er meldete sich, und fast sofort war seinem Gesicht anzusehen, dass er wegen des Anrufs befremdet war oder vielleicht sogar beunruhigt.
»Dass Herr Walliser demnächst in den Ruhestand gehen darf, das hat er sicher verdient«, hörte man ihn sagen. »Aber ich verstehe nicht ganz...«
Es folgten Erklärungen, die den Sachverhalt nicht einfacher machten, nach Jehles Gesichtsausdruck zu schließen. Er warf einen etwas ratlosen Blick zum Tisch, wandte sich dann wieder dem Hörer zu.
»Ja, daran habe ich noch gar nicht gedacht«, hörte man ihn sagen, »aber Sie haben sicher Recht... kommen Sie doch gleich her.«
Jehle legte auf, und der Mann, der seinen Schokoladenpudding gegessen hatte, stand wohlerzogen auf, weil jetzt ja wohl die Erwachsenen etwas zu besprechen hatten, machte einen Diener und ging nach nebenan in das Balkonzimmer, wo der erst vor kurzem gestimmte Flügel darauf wartete, dass jemand endlich die Fantasie in cis-Moll oder vielleicht gar Chopin-Etüden auf ihm spielen würde.
Aber das hatte sich der Flügel so gedacht.
Unten war jemand in den Laden gekommen und von Stefanie nach oben geschickt worden. Die Stufen der Holztreppe knarrten ein wenig, und so konnte er hören, dass der Besucher mit raschen, leichtfüßigen Schritten die Treppe hochstieg, ein junger, vielleicht auch sportlicher Mensch, den offenbar keine Zweifel über das bedrückten, was er beim Alten vorzubringen hatte, jemand Unangenehmes also.
Oben am Treppenaufgang wurde der Besucher von dem Alten begrüßt, dessen Stimme eifrig, fast ehrerbietig klang. Der Besucher aber war eine Frau, und das hörte sich beunruhigend nach Sozialtante an. Er wartete ab, bis die Besucherin ins Wohnzimmer gebeten worden war, öffnete dann leise die Türe und schob sich an der Wandseite - dort knarrten die Dielen nicht - bis zur Wohnzimmertür...
»... nichts, das Sie beunruhigen müsste«, sagte die Stimme der Besucherin, »ich sagte es schon Ihrem Mann - wir wüssten nur gerne, ob irgendjemand in irgendeiner Weise merkwürdig auf die Rückkehr Ihres Sohnes reagiert hat...«
Keine Sozialtante, dachte der Mann hinter der Tür. Sie hatten die Bullerei im Haus. Er hätte das schon am Schritt hören müssen. Sozialtanten laufen nicht leichtfüßig eine Treppe hoch. Krumm und schleppend gehen sie, gebückt unter der Last ihrer Vorschriften und der Uneinsichtigkeit ihrer Klienten!
»... und damals«, hörte er die Stimme wieder, »als Ihr Sohn weggegangen ist - ist Ihnen damals etwas aufgefallen, vielleicht in den Tagen vorher, dass sich zum Beispiel in seinem Verhalten etwas verändert
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