Forellenquintett
an den Kochkünsten der Alten Frau liegen, falls er doch noch das Weite suchte. Die Auszubildende Stefanie war mit am Tisch gesessen, etwas fahrig in den Bewegungen, manchmal sinnlos kichernd, zum Beispiel, wenn die Alte Frau sie fragte, ob sie noch Salat wollte, dann wieder neugierig nach ihm blickend, fast so, als rechne sie damit, dass er sich gleich wieder in Luft auflösen oder zumindest in ein eigentümliches Tier verwandeln würde.
Den Kaffee hatte er mit dem Alten Mann im Wohnzimmer getrunken, der Alte hatte taktvoll geschwiegen, und das Schweigen war ganz selbstverständlich gewesen, dann war die Ware gekommen, und er hatte sich beim Ausladen und Auspacken dazugesellt. Warum eigentlich? Natürlich konnte er sich einbilden, er hätte es getan, weil es sich so ergeben hatte, weil er gefällig sein wollte oder weil er gerade keine Lust hatte, Dusty Springfield oder die Toten Hosen anzuhören. Aber wozu diese Rechtfertigungen? Das Computerprogramm des Großen Spielers hatte dies alles so fortgeschrieben, um die nächste Konfiguration zu generieren, und weiter war nichts dazu zu sagen.
Von oben hörte er die Stimme des Alten Mannes, es klang wie: »... bitte haben Sie Verständnis...« Er stand auf und ging zum Fuß der Treppe.
»... aber wir waren doch Freunde«, sagte eine helle Stimme, »lieber Herr Jehle, das können Sie uns nicht antun, dass wir ihn jetzt nicht sehen dürfen, glauben Sie uns, das würde Ihnen auch Bastian übel nehmen...«
Es war die Stimme einer Frau, aber eine von denen, die diesen Schuss Frechheit draufhaben. Plötzlich stellte er fest, dass er die Treppe hinaufstieg, und bevor er oben war, hatte er den Totenkopf aufgesetzt.
Im Laden standen zwei Kunden oder Besucher, ein großer täppischer Mann mit Stirnglatze und eine schlanke blonde Frau mit diesen sehr kurz geschnittenen Haaren, wie sie bei einer solchen Stimme gar nicht anders sein konnten.
»Huch«, sagte die Blonde, »so kenn ich ihn gar nicht.«
»Wir alle verändern uns«, meinte der Mann mit der Stirnglatze.
Stefanie begann zu kichern.
»Bastian«, sagte der Alte Mann, »bitte!«
Aber der Mann in der Maske reagierte nicht, sondern näherte sich der Blonden und ging um sie herum und sah sie sich aus seinem Totenschädel heraus an, ohne auf die einzelne rote Rose zu achten, die sie ihm entgegenhielt.
Jehle berührte ihn sanft an der Schulter. Er erstarrte kurz, leicht vornüber gebeugt, und blieb so stehen, als sei sein Steuerungsprogramm hängen geblieben, dann wandte er sich um und ließ sich gehorsam nach hinten führen, in den kleinen Raum, in dem Jehle sein Kontor hatte.
V on dem Stehtisch der Bäckerei aus blickte Tamar Wegenast über den leeren Marktplatz, nichts weiter war zu sehen als einzelne gelbe Blätter, die sich von den Platanen lösten und langsam auf das Kopfsteinpflaster segelten, ab und zu durchquerte ein Touristenpaar das Blickfeld, dann wieder jemand, der eiligen Schrittes über den Platz strebte, als gebe es in diesem Ort irgendetwas, das nicht am anderen Tag auch noch Zeit hätte.
Ein Paar verließ das Schreibwarengeschäft, eine blonde Frau und ein groß gewachsener Mann, der sich an die Stirn klopfte. Sie gingen zu einem weißen Pick-up und stiegen ein, die Blonde schwang sich auf der Beifahrerseite hoch. Das Auto sprang an, nahm Fahrt auf und rollte über das Kopfsteinpflaster, vorbei an der Bäckerei.
»Das sieht aber nach einer Abfuhr aus«, kommentierte Marlen Ruoff, die neben der Kommissarin stand und einen Becher Milchkaffee in der Hand hielt.
»Sie kennen sie?«, fragte Tamar.
»Das ist hier fast nicht zu vermeiden«, sagte Marlen. »Mit den beiden bin ich sogar zur Schule gegangen. Was mich wundert, ist...« Sie hörte auf zu sprechen.
»Ja?«
»Dass sie gemeinsam zu den Jehles gegangen sind. Elke ist sehr selbständig und sicher auch sehr anspruchsvoll, meistens jedenfalls... Und Gerd Hoflach - ach Gott, der lebt noch immer bei seiner Mutter, damit ist eigentlich alles gesagt. Ich hab immer angenommen, irgendwann wird er eine Thai-Frau anschleppen.« Sie streifte die Kommissarin mit einem Blick, als sei sie nicht sicher, ob sie ihr überhaupt zuhörte.
»Sie alle waren also Schulfreunde von Bastian Jehle?«
»Schulfreunde - das ist zuviel gesagt.« Marlen Ruoff stellte ihren Kaffeebecher ab. »Bastian war eine Klasse unter uns, also unter der von Elke und mir und...« Sie unterbrach sich und blickte misstrauisch in ihren Kaffeebecher, als hätte sie einen
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