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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Musterkind Papa und Mama nicht störte... Mehrere Fächer waren mit den guten alten Schallplatten voll gestellt, es gab aber Stapel auch von Compactdiscs und Kassetten, fast gerührt entdeckte er Sinead O’ Connors »Nothing compairs to you«, in einem Jugendclub hatte er das einmal einen ganzen Abend laufen lassen, bis ihm die anderen Typen Prügel anboten, und die Tussi, der das alles galt, hatte noch nicht einmal begriffen oder hatte nicht begreifen wollen... Die Discs waren alphabetisch geordnet, Dusty Springfield nach »Depêche mode«, wer tat denn so was! Weiter hinten die »Toten Hosen«, wie lange die schon im Geschäft waren... Aber dann zog er doch eine CD der »Ersten Allgemeinen Verunsicherung« heraus und legte sie auf, nachdem er sich die Kopfhörer aufgesetzt hatte.
    »Ding dong«, sangen die Österreicher und beschrieben das kurze Glück, das doch nur eine Katastrophe nach der anderen einläutet, »mach nie die Tür auf«, lautete der Refrain, »lass keinen rein/ist erst die Tür auf/dann ist es zu spät...«
    Er nickte, setzte sich auf den Boden und schlug mit der Fußspitze den Takt. Genauso ist es, dachte er, die Österreicher haben es schon damals geblickt, das Unheil ist nicht nur in der Welt, die Welt selbst ist das Unheil, und wie schlecht es dir auch gehen mag, so kann es doch nur schlechter werden, und das Ganze nennen wir dann das Leben...
    Jemand berührte ihn an der Schulter. Er sah hoch, ein junges stämmiges Mädchen mit etwas Akne um die Nase, mit blaugrünen Augen und einem dicken Busen stand neben ihm.
    »Ich bin die Stefanie und soll Ihnen sagen, es gibt Mittagessen.«
     
     
     
    H auptkommissar Walliser schloss hinter der Besucherin die Tür und bat sie, Platz zu nehmen. Tamar Wegenast folgte der Einladung und sah sich dabei um. Sie registrierte eine zeitgemäße, frisch tapezierte Einzelzelle für den Beamten der mittleren Führungsebene, 1 Aktenschrank aus Leichtmetall, 1 Schreibtisch mit Arbeitsplatte für den Computer, 1 drehbarer orthopädischer Schreibtischsessel, Rindsleder schwarz, 2 Besucherstühle, Esche gepolstert, 1 Regal mit Wasserkocher, 1 Blick aus Fenster mit Kunststoffrahmen auf 1 Begrünungseinheit. Sie blickte wieder auf den Hauptkommissar, der sich vorsichtig in seinem orthopädischen Drehstuhl niedergelassen hatte.
    »Der Chef hat gesprochen«, sagte er, »also brauchen wir nicht weiter zu diskutieren.«
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte Tamar. »Das heißt, ich würde schon gerne wissen, welche Einwände und Bedenken Sie haben.«
    »Wozu?«, erwiderte Walliser. »Mein einziger Einwand ist, dass ich von dieser Sache die Finger lassen will. Da Sie die Ermittlungen übernehmen, in welcher Richtung auch immer, ist mein Einwand erledigt.«
    »Warum würden Sie die Finger davon lassen wollen?«
    »Weil wir hier nur eines finden können: einen Toten«, antwortete Walliser. »Ich habe in meinem Leben genug Tote gefunden.«
    »Warum ist Bastian Jehle tot?«
    Von einem Stapel von Akten, der auf seinem Schreibtisch lag, nahm Walliser den obersten Ordner und schlug ihn auf. Dann richtete er den Blick auf seine Besucherin und begann mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme seinen Bericht vorzutragen, ohne auch nur ein einziges Mal ein Datum oder ein Detail in den Akten nachschlagen zu müssen.
    »Der Junge Bastian Jehle ist zuletzt am Freitag, dem zehnten Mai 1990, gegen siebzehn Uhr gesehen worden, als er das Alte Schulhaus Aeschenhorn verließ, wo er Klavierunterricht bei einem Musikpädagogen namens Carl-Maria Windisch hatte. Er schloss sein Fahrrad auf, ein Mountainbike, und fuhr damit nicht in Richtung Kirchplatz, sondern aus dem Dorf hinaus, in Richtung der Aesche. Einer Zeugin, die den Jungen kannte, war das aufgefallen. Der Fluss führte damals Hochwasser...«
    Walliser beugte sich etwas nach vorne und veränderte seine Tonlage. »Heute ist die Aesche ein kleines gezähmtes Flüsschen, und wenn Sie es sehen, werden Sie glauben, dass man darin allenfalls nasse Füße bekommen kann. Aber manchmal, ganz selten, erinnert sich die Natur an ihr wahres Gesicht, und die Aesche bäumt sich auf und reißt weg, was immer ihr im Weg steht oder ihr zu nahe kommt... Und im Frühjahr 1990 war das so. Noch Wochen danach war das angeschwemmte Treibholz auf beiden Ufern zu hohen Wällen aufgetürmt. Wenn Sie es gesehen hätten, wüssten Sie, wie Bastian Jehle zu Tode gekommen ist.«
    »Diese Zeugin, wie hieß die noch mal?« »Stubbinger, Olga Stubbinger, ich weiß aber nicht, ob

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