Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
– das konnten sie anscheinend alle – er besaß sogar ein paar
Bücher, die er in seiner Kiste im Gilwisselwagen verwahrte, unter seiner
sorgsam in Decken eingeschlagenen Geige.
„Klar hab ich das“, erwiderte Juniper. „Der Chef hat
welche in seinem Wagen.“
Hinter ihnen, im Wagen der Kalendio-Sippe, fing das
Baby wieder an zu quäken, ein Geräusch, das sie schon den ganzen Tag begleitet
hatte. Es wurde Zeit für die Rast. Der Chef hatte aber noch weitergehende Pläne
und schickte John und Stanwell voraus zum Rathaus, damit sie dort die
Genehmigung für eine Vorstellung an diesem Abend einholten. Währenddessen versuchte
die Truppe, einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Noch herrschte Betrieb in
den Läden, und neugierige und misstrauische Blicke folgten ihnen, als sie die
Wagen durch die engen, gewundenen Straßen lenkten. Eine Wiese zum Lagern gab es
hier nirgends, und schließlich musste sich auch Nicholas Montagu mit dem
schmuddeligen Rastplatz unter der Brücke zufriedengeben, auf dem Pellicano
kampiert hatte.
Sie waren nicht die einzigen Gäste dort: Ein Händler
hatte seinen Wagen ausgespannt und fütterte gerade seine beiden Esel, als sie
auf den Platz holperten. Es war ein steiniges, unebenes Felsplateau, und es gab
nicht einmal genug Gras für die Gilwissel. Eine kaum brusthohe Felswand
sicherte das Gelände gegen den gut fünfzehn Meter tiefen Abgrund, durch den der
Tabarnen floss. Sechs ihrer Wagen fanden gerade eben noch Platz; den
Gilwisselwagen ließen sie auf Befehl des Chefs erst einmal an der Straße
stehen. Die Ponys waren unruhig, die Leute missmutig, und das Baby brüllte jetzt
wie am Spieß. Immerhin kehrten John und Stanwell bald mit einem Dokument
zurück, das dem Stern von Montagu für diesen Abend einen Auftritt auf
dem Marktplatz von Windywatt erlaubte. Der Chef setzte eine kleine Vorstellung
mit möglichst spektakulärer Besetzung an: Außer den Musikern, die immer dabei
waren, sollten Haminta auf dem Seil, Firn mit seinen Messern und Horgest als
feuerspeiender Kraftmensch auftreten. Am Ende ließ er sich noch von Juniper
erweichen, der um einen Auftritt mit seiner Mapoosa bettelte, drohte ihm aber
an, dass er die Bärin verkaufen würde, wenn sie hier in Windywatt ausbüxte.
Dann schickte er die beiden mit Carmino zusammen los, damit sie den
Stadtbewohnern die Vorstellung ankündigten.
James hatte andere Sorgen. Den halben Tag überlegte er
schon, wie zum Teufel er sein Schuhproblem lösen sollte. Dann entdeckte er in
den Sträßchen von Windywatt im Vorbeifahren eine Werkstätte, vor deren Tür und
Fenstern Stiefel in allen Größen standen. An zwei Pfandleihen kamen sie auch
vorbei. Die Lösung lag auf der Hand: Er musste sich einfach nur Geld leihen und
einkaufen gehen. Aber was konnte er noch zum Pfandleiher tragen? Ihm gehörte ja
nicht einmal die Hose, die er trug. Blieb die Truppe, auch wenn der Gedanke an
eine Anleihe elend peinlich war – umso mehr, als er keine Ahnung hatte, wie er
die je zurückzuzahlen sollte. Ohne Schuhe ging es aber auch nicht, also sprach
er Halfast an. Der hätte ihm geholfen, war jedoch ebenfalls pleite. Seine
Ersparnisse seien in Rhondaport für eine Reparatur seiner Geige draufgegangen,
erklärte er. Und wurde dabei so rot, dass James ihm kein Wort glaubte.
Blöderweise hatte Firn die Sache mitbekommen. „Kannst
dir das Geld ja auch verdienen“, schlug er mit seinem bösartigen Grinsen vor.
„Stell dich an die Scheibe, und ich beteilige dich an meinen Einnahmen. Ein
Fünftel, wenn du dich traust. Die Leute finden’s immer spannender, wenn ein
Kramper auf der Scheibe hängt.“
James war skeptisch. Bisher hatte er noch keine
Vorstellung der Truppe mitbekommen, aber er nahm an, dass es sich bei dieser
Scheibe um das große, drehbare Ding handelte, das er schon in Rhondaport im
Vorbeigehen gesehen hatte. „Wer macht das denn sonst?“, fragte er. „Lebt er
noch?“
„Meistens Juniper. Wir schicken ihn ins Publikum,
damit’s so aussieht, als wär’s einer von denen“, erklärte Firn. „Aber wenn da
jemand hängt, dem der Angstschweiß von der Stirn tropft, macht das die Leute
erst richtig an.“
„Ich werd mir Mühe geben. Ein Fünftel also?“
„ Geffet !“ Das bedeutete wohl eine Zustimmung.
Das Grinsen, das sie begleitete, vertiefte James’ Skepsis noch.
„Und noch ein Fünftel, wenn du mich triffst!“
„Ist das ein Wunsch oder eine Drohung?“
„Keine Sorge. Er wirft absolut sicher. Er hat noch nie
einen
Weitere Kostenlose Bücher