Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
das Hiersein hinterließ ständig Spuren, und die wenigsten davon waren
angenehm. Schrille Rufe rissen ihn aus seinen Duschfantasien, als der
Kalendio-Wagen an ihm vorbeizog. Da saßen die Kinder in der offenen Tür und
ließen die Beine im Wind baumeln. „Hey, Hakemi!“, riefen sie ihm zu und
verfielen dann gleich wieder in den Singsang, mit dem sie sich beim Fahren oft
die Zeit vertrieben. Danach überholte ihn auch der Wagen mit dem Vogelanhänger.
Jujuna Tirp streifte ihn mit einem scharfen Blick – die Frau, die aus
unerfindlichen Gründen seiner Vorstellung von einer Flamencotänzerin entsprach,
hatte sanfte Blicke gar nicht in ihrem Repertoire.
„Hier, versuch’s mal damit!“, rief sie und warf ihm
ein dunkles Tuch zu.
Reflexartig fing er es auf – ein Tuch, von dem ein
starker Blumenduft ausging. Und was sollte er damit?
„Wickel es dir um den Kopf!“, schnaubte sie. „Bevor du
noch einen Sonnenstich kriegst!“
Eine gute Idee, auch wenn sie vielleicht schon zu spät
kam. Er bedankte sich und drapierte das Tuch so um seinen Kopf, dass es die
Augen leicht beschattete – das brachte eine große Erleichterung. Seine
Kopfschmerzen ließen nach, als er endlich die Augen nicht mehr zusammenkneifen
musste. Und den bittersüßen Blumengeruch fegte der Wind schnell genug davon.
Zehn Minuten später ragten aus der hitzeflimmernden
Öde voraus mehrere hohe Stangen auf. Als sie näherkamen, erkannte er, dass oben
auf jeder Stange ein gebogener Zweig wie ein großes Nadelöhr steckte, in das
eine Art Spinnennetz geknüpft war. Viele kleine Gegenstände hingen an Schnüren
davon herunter und klapperten im Wind. Ein Traumfänger, dachte er und hatte
augenblicklich das kleine Ding vor Augen, das am Rückspiegel von Karens Auto
baumelte – drüben, zuhause. Er hatte den immer albern gefunden. Diese hier
waren jedoch schon wegen ihrer Größe beeindruckend. Die Stangen markierten die
vier Ecken eines gemauerten Brunnenrandes, wie sich wenig später herausstellte.
Sie hielten endlich an, und der Chef ließ den Eimer, ein uraltes Holzding,
selbst hinunter. „Früher hatte hier ein Brunnenwächter seine Hütte“, bemerkte
Brogue und sah sich suchend um. Aber mehr als ein paar Bretter, die um einen
Fleck aus geschwärzter Erde herumlagen, gab es nicht zu sehen.
Los, Mann, zieh endlich das Wasser rauf!, dachte
James.
„Das sind getrocknete Eidechsen, da oben!“, rief
Carmino und zeigte auf die klappernden Anhängsel.
„Und Zähne! Das müssen Brogorzähne sein!“
Auch Knochen hingen da – sollte das etwa eine Warnung
vor diesem Brunnen sein?
„He, seht mal, der hat ’n Weibertuch auf dem Kopf!“
Das reichte schon aus, um Horgest, den Schwachkopf, zu amüsieren. „Und er
riecht wie ’n washooni !“, trompetete er, und darüber lachten auch die
anderen fett. Sollten sie doch. Das Tuch rettete ihm vermutlich den letzten
Rest Gehirn. Und wie Schweine rochen sie sowieso alle.
Leider stank auch das Wasser, als der Eimer endlich
schwappend aus der Tiefe heraufkam. Montagu ließ nur die Gilwissel trinken. „In
die Kruken kommt mir nichts davon, ist das klar?“, ordnete er an, ohne sich am
Murren seiner Leute zu stören. „Von hier sind es nur noch zwei, höchstens drei
Stunden bis Kantabre – so lange halten wir durch.“
Nachdem sie das Wasser so nah vor Augen gehabt hatten,
ließ ihnen der Durst keine Ruhe mehr. Und als sich eine Stunde später in der
Ferne auf einmal Grün in das ewige Staubbraun mischte, war James geneigt, es
für eine Fata Morgana zu halten. Aber das Grün blieb, gliederte sich dem Blick
allmählich in nahezu quadratische Felder mit buschartigem Bewuchs. Kanälchen
durchzogen sie, und hier und da wälzten kleine Schaufelräder das Wasser von
einer Rinne in die nächste. Es glitzerte unwiderstehlich im Sonnenlicht.
Bitterer, krautiger Grüngeruch stand über den Büschen, an denen lange bräunliche
Schoten hingen.
„Die Gärten von Frillort!“, seufzte Juniper
theatralisch,
„Gibt’s da etwa auch Mücken?“, knurrte Stanwell und
schlug um sich. „Dann kann’s mir nämlich gestohlen bleiben!“
„Mücken? Das ist Gelichter“, meinte Firn. „Cabbacubbs
Bartstoppeln wahrscheinlich.“
„Da! Da vorne! Das ist bestimmt die Stadt!“ Junipers
Schrei unterbrach alle Gespräche. Er und Carmino fuhren voran, und im staubigen
Dunst vor ihnen nahm jetzt endlich etwas Gestalt an, das nach mehr als einem
verlassenen Brunnen oder ein paar Ackerflecken aussah.
„Ein
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