Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
die auch aus dem
großen Zaun hervorstachen.
Nach nur wenigen Minuten Marsch hatten sie den
Marktplatz erreicht: kreisrund umgab er den dünnen Turm in seiner Mitte. Im
messerscharfen Turmschatten hielt der Chef an, und während die Kapelle
weiterspielte, stellten die anderen in Windeseile die Wagen im Halbkreis nebeneinander
ab, sodass sie den Hintergrund einer großen Bühne bildeten. Dann bauten sie
auf, was für die Vorstellung benötigt wurde: den Dreifuß mit der Scheibe, das
Seil, die Fässchen zur Abgrenzung. Die Kantabrer sammelten sich währenddessen
schweigsam, aber erwartungsvoll um sie herum auf dem Marktplatz.
„Na, Hakemi – noch ein Versuch, oder verdrückst du
dich lieber wieder?“
James stellte das letzte Fässchen ab und richtete sich
auf. „Solltest du nicht da drüben auf die Pauke hauen?“
„Stanwell hat übernommen“, erwiderte Firn und knotete
sein dunkles, schulterlanges Haar mit einem Band zusammen. „Ich bin als Dritter
dran. Vielleicht hältst du ja diesmal so lang durch.“
„Arsch!“, zischte James hinter ihm her. Noch einmal
wischte er sich Schweiß und Mücken vom Gesicht, dann versuchte er wie am Vortag
unauffällig in den Reihen der Zuschauer unterzutauchen, wo es nach Schweiß,
Zwiebeln und billigem Tabak roch. Auch wenn er immerhin wie sie eine Art Kapuze
trug, mussten die schon blind sein, um ihn nicht sofort als Fremden zu
erkennen. Aber das Ganze war ja sowieso nur ein blödes Spiel.
Diesmal brachten John und Halfast das Publikum in
Stimmung, und zwar mit einer Reihe ziemlich guter Jongleur-Tricks. Halfast, der
immer noch mürrisch aussah, hielt bei allem, was sein Vater vorgab, fehlerlos
mit. James hatte ihn bisher nie auch nur trainieren sehen. Danach stieg Haminta
aufs Seil und tanzte dort mit einem großen Fächer, der aussah wie ein mit blau
schillernden Federn besetztes Paddel. Dazu spielte Brogue auf der Laute, und
die Leute waren hingerissen. Und dann war Firn dran, und James konnte sich
davon überzeugen, dass das Paukenspiel seine Treffsicherheit nicht beeinflusst
hatte. Er fing wieder mit den Wurfsternen an, warf Muster damit an die Scheibe,
zerschnitt einen Apfel, den Juniper ihm hinhielt, spießte einen weiteren, den
Juniper in die Luft warf, ans Holz – okay, er war wirklich gut. James hatte
drüben selbst ganz gut Darts gespielt, aber das hier war eine ganz andere Liga.
Bei Firn sah jeder Wurf mühelos und spontan aus, als müsste er sich nicht
einmal konzentrieren. Die Männer rings um James kommentierten die Würfe
sachkundig und voller Respekt, und als er dann rückwärts über die Schultern
warf und immer noch die Scheibe traf, gab es bewundernde Zurufe. James war
trotzdem unbehaglich zumute, als der Chef sich dann ans Publikum wandte und
nach einem Freiwilligen fragte, der es wagen würde, sich an die Scheibe zu
stellen. Mehrere meldeten sich, aber natürlich wählte der Chef James aus; sie
nahmen meistens einen von den eigenen Leuten, damit sie im Fall, dass doch
etwas schiefging, keine Probleme mit den Krampern am Hals hatten, das hatte
Juniper ihm erklärt. Und daran musste James jetzt denken, als er sich zwischen
den Kantabrern wieder zur Bühne vorarbeitete – an den Fall, dass doch mal was
schiefging …
Juniper nahm ihn in Empfang und führte ihn mit
dramatischer Geste zur Scheibe, zeigte ihm, wie er sich hinstellen musste: mit
den Füßen auf die beiden Holzpflöcke, die Arme ausgestreckt, wobei er sich an
den Griffen festhalten konnte. Die Scheibe wackelte ein bisschen.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Juniper grinsend.
„Hauptsache, du hältst still. Er wirft beidhändig und ziemlich schnell. Dauert
also nicht lange.“
„Das ist ’ne echte Beruhigung, danke“, murmelte James,
der sich fragte, ob das Ding auch wirklich festgestellt war.
„Einfach ganz stillhalten“, hörte er noch, dann
übertönte Stanwells Trommelwirbel alles andere.
Er hielt die Luft an und hatte nicht einmal mehr Zeit,
sich weiter ins Hemd zu machen, denn da flogen schon die ersten Messer. Es
waren flache, lanzettförmige Klingen, an der Griffseite dünn mit Stoff
umbunden, und er sah sie rasch nacheinander auf sich zufliegen, wobei sie sich
in irrwitzigem Tempo immer wieder überschlugen. Und so sollte man wirklich
zielsicher treffen können?! Ein Zischen und ein hartes Plock! links und
eins rechts, und dann steckten sie zitternd über seinen Schultern. In rascher
Folge schlugen so zwanzig Messer rings um ihn ein und alles, was er denken
konnte,
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