Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
die Vergangenheit zurückzerrten.
Vierzehn war er gewesen, und Danae, die Tochter des
Dorfschullehrers (ausgerechnet!) neunzehn, verheiratet und, wie alle im Dorf
wussten, nach drei Fehlgeburten endlich schwanger mit dem ersten Kind. Sie
wohnte neben dem Schulhaus, und monatelang hatte er jeden Tag nach ihr Ausschau
gehalten, morgens, wenn er zur Schule kam, mittags in der Pause, nachmittags,
wenn er nach Hause ging. (Und zwischendurch in den Schulstunden hatte er aus
dem Fenster gestarrt in der Hoffnung, sie nebenan im Hof zu sehen.) Er hatte
angefangen, ihr die Einkaufskörbe zu tragen, den Wäschezuber, Wassereimer und
Gießkannen, hatte ihr nach der Schule im Gemüsegarten geholfen und wer weiß was
noch. Und nachts hielt er mit selbstgebastelten Fängernetzen vor ihrem Haus
Wache. Eines Tages hatte er es dann genau wie eben einfach getan. Im schattigen
Flur des Schulhauses wäre er fast in sie hineingerannt, konnte im letzten
Moment noch abbremsen – und statt sich höflich für das Gerenne zu
entschuldigen, küsste er sie. Noch heute konnte er kaum fassen, dass er das
wirklich getan hatte. Sie wich zurück – und dann hatte sie ihm eine geknallt.
Diese Ohrfeige, so angemessen sie sogar ihm selbst erschien, brannte jahrelang.
Galluriu ,
jetzt auch noch Danae, die hat mir gerade noch gefehlt!
Aber die Erinnerung kam gar nicht so aus dem Nichts.
Die hatte auch nicht nur mit dem verunglückten Kuss zu tun. Obwohl Danae ganz
anders aussah als Kate (keine Frau in diesem Land sah aus wie Kate), hatte auch
sie dieses Katzenhafte an sich gehabt, das ihn an Kate schon seit dem ersten
Tag irritierte.
Nicht gut, dachte er kläglich. Dass mir das jetzt erst
auffällt! Und gerade jetzt! Vielleicht hab ich ja gehofft, dass sie mir auch
eine reinhaut!
Seit dem Ende der Danae-Geschichte hatte er instinktiv
einen Bogen um die Katzenfrauen gemacht. Und geheiratet hatte er – na ja, wenn
Ellie überhaupt etwas von einem Tier an sich hat, dann am ehesten etwas von
einem Pferd, oder? Eine Pferdefrau, stolz, schön, kostspielig. Und störrisch.
Also doch eher ein Esel? Ein Gilloc?!
Gar nicht witzig. Es machte diesen Kuss nicht
ungeschehen. Es beendete auch nicht das Ziehen in seinem Bauch oder das
Prickeln in seinem Nacken oder den heftigen Wunsch, auszusteigen und abzuhauen.
Sah sie ihn an? Er würde auf keinen Fall zu ihr
hinsehen. Was mochte sie jetzt wohl denken? Eine anständige Frau – wäre die
danach noch mit ihm weitergefahren? Wie sie seine Lippe festgehalten hatte –
verdammt, er durfte da jetzt nicht mehr dran denken.
Auf die Straße konzentrieren. Weiterfahren. Fasmechora
ist nicht mehr weit. Da bringe ich sie dann in der Eidechse in der Sonne unter und verdrück mich selbst in den Nektarkrug .
Vielleicht war sie wirklich keine anständige Frau. Mal
ehrlich, forderte sie ihn nicht schon die ganze Zeit heraus? Sie spielte ein
Katzenspiel mit ihm. Vielleicht war sie genau das, was Larkish in ihr sah. Und
wären damit nicht eine ganze Reihe Probleme gelöst gewesen? Er war verheiratet.
Ellie und er konnten einander zwar vielleicht nicht mehr ertragen, aber sie
gehörten trotzdem zusammen. Eine offizielle Trennung kam nicht infrage. Eine
Affäre konnte er sich deshalb nicht leisten, schon gar nicht, wenn er für
Emberlend arbeiten wollte. Aber niemand sagte etwas gegen eine flüchtige Sache
mit einer –
Wieder flutete eine plötzliche Welle aus Hitze über
ihn und machte ihm das Atmen schwer. Da saß sie, so verdammt dicht neben ihm!
Und sie hatte sich küssen lassen!
So, das reichte jetzt. Er musste einfach für einen
Moment hier raus.
Die Luft bot einen spürbaren Widerstand, jedenfalls
kostete es ihn Kraft, zu sprechen und den Bremshebel zu ziehen. Wenn er jetzt
das Schweigen beendete, dann gab er zu, dass er noch da war. Dass das eben
wirklich passiert war.
„Muss noch mal nach den Karnellen fängsen. Äh – ich
meine, die Fänger – draußen am Wagen – klappern – sind nicht richtig
festgemacht, glaub ich. Ich seh grad mal nach –“
Und raus, nichts wie raus.
Karnellen fängsen, genau. Aber immerhin, er stand
draußen. In langen, rötlichen Bahnen fiel das Sonnenlicht über die Straße, es
wurde Spätnachmittag. Er atmete tief die trockene Luft ein – Heimatluft, da
mochte man noch so weit weglaufen und noch so lang wegbleiben, es blieb doch
dabei. Orolo. Gelichter. Oona. Man konnte nicht an Oona denken und trotzdem
weiter solche Gefühle –
Verdammt, ihm war ganz schwach in den Beinen.
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