Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
verrückt, na, ich war erst fünfzehn. Das
Wasser war saukalt, und dann plötzlich die Luft um mich rum … Ich hab’s nie
jemandem erzählt, nicht mal Sabin, der damals mit dabei war. Erst später wurde
mir klar, dass ich da in eine andere Welt reingesehen hatte. So wie die Brogor
früher an derselben Stelle!“ Inglewing, der auf der Bank am Tisch saß, seufzte
tief. „Das war es doch, was mich erst darauf gebracht hat, mich für andere
Welten zu interessieren! Ich wusste, ich hatte was gesehen. Und ich wusste, es
ist woanders. So was gibt es hier nicht.“
Besoffen in einen See zu tauchen und sich plötzlich
über der nächtlichen City von London wiederzufinden, wenn man nicht mal
elektrisches Licht kannte – okay, das war bestimmt eine Erfahrung, die einem in
Erinnerung blieb.
„Und was ist das nun für ein Ort da unten, deiner
Ansicht nach?“
„Ich bin überzeugt, dass eure Welt da in unsere
hineinragt! Und vermutlich nicht nur eure, wenn man an die Brogor denkt. Das
Fluidum muss da dauernd in Aufruhr sein und manchmal eben sehr dünn –“
„Warum kann man rübersehen, aber nicht rübergehen? Ich
war ganz dicht an dieser Gondel! Ich hätt sie fühlen müssen!“
„Ich glaube, dass es da genauso ist wie bei den
Übergängen in die andere Richtung“, erwiderte Dorian. „Sie sind versperrt, weil
sich das Fluidum verändert hat.“
„Hä?“
„Alles deutet daraufhin, dass es heute viel langsamer
fließt als zu der Zeit, in der Talbot es zum ersten Mal vermessen hat!
Irgendwas ist da anders geworden in den letzten – sagen wir, hundert Jahren
etwa. Vielleicht etwas auf eurer Seite.“
„Was? Und warum?“
„Darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Ihr habt
zum Beispiel Flugzeuge, die sehr hoch und schnell fliegen, sagt Kate.
Vielleicht bringen die das Fluidum durcheinander? Vergesst nicht, dass man
nicht mal weiß, was das Fluidum eigentlich ist! Was treibt es an, wodurch wird
es in Bewegung gehalten – in genau dieser Bewegung noch dazu?“
Pix, die bisher an der Wand gelehnt hatte, ließ sich
stöhnend auf den Boden sinken. Aber Inglewing war schon so in sein Thema
versunken, dass er das gar nicht mitbekam. Er spielte an der Lampe auf dem
Arbeitstisch herum, schraubte die Flamme immer wieder hoch und zurück, während
er weiterredete.
„Ibn Ward, von dem hab ich euch erzählt, glaub ich …
also, Ibn Ward hatte eine Theorie dazu, aber die war – poetisch, sozusagen. Mit
anderen Worten, sie war so, dass keiner der wenigen Gelehrten, die sich hier in
Salkurning überhaupt für das Thema interessierten, sie aufgegriffen hätte. Er
nannte es die Stimme der Welt , die alles in Gang hält. Er meinte, dass
alles seine eigene Melodie habe, seinen eigenen Klang. Und die größte Melodie
sei eben die Stimme der Welt.“
„Was für eine Kacke!“, schnaubte Pix. „Das ist doch
tiefstes Mittelalter! Und das soll uns jetzt weiterhelfen oder was? Es erklärt
doch gar nichts! Macht sie schlapp, diese Stimme, sodass dieses Zeugs sich
langsamer dreht? Und wo soll sie überhaupt herkommen?“
„Dazu sagt keiner etwas. Es ist ja auch nur eine
Vorstellung, ein Bild! Man müsste erforschen, was die Wirklichkeit dahinter
ist. Ich finde, Schwingung wäre eine gute Erklärung, auch wenn ich keine Ahnung
habe, wo die herkommen könnte. Auf jeden Fall scheint sie nachzulassen.“ Er sah
von der Lampe auf und ließ seinen grüblerischen Blick durch den Wagen wandern.
„Manchmal – manchmal frage ich mich, ob es nicht das ist, was uns
bedroht. Ob nicht das die Gefahr ist, durch die der Welt der Untergang droht,
wie es die Liste der Zeitalter ja behauptet. Was passiert, wenn das Fluidum
immer langsamer und langsamer wird und schließlich – erstarrt? Seht euch den
Mond an! Wenn sich das Fluidum allmählich verdichtet – könnte das nicht auch
eine Erklärung dafür sein, dass wir ihn immer verzerrter und aufgedunsener
sehen?“
„Du meinst, deshalb verstopfen diese Übergänge? Weil
das Fluidum zu langsam wird?“
„Vielleicht. Zu langsam, zu zäh, zu dicht, das könnte
–“
„Wen interessiert das denn!“, quiekte Pix. „Sag uns,
wie wir hier wieder wegkommen! Möglichst bevor dein Fluidum endgültig
stillsteht!“
„Schwingung –“, wiederholte Kate. „Denkt doch nur mal
an all das Zeug, das in den letzten hundert Jahren bei uns neu entwickelt wurde
– Telefon, Radio, Fernsehen. Und all der Luftverkehr! Zwei Weltkriege …
Atomexplosionen … Raketen!“
„Das musst du mir alles
Weitere Kostenlose Bücher