Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
der alte Norbrant weiß, was wichtig ist! Alles,
was ihn interessiert, sind die Wildschweinjagd, Wein und die Weiber – in dieser
Reihenfolge!“, lachte Oswiu. „Sieh mal an, wie aufs Stichwort: der nächste
Gang! Ist das der Brocken, den du erlegt hast, Johann?“
4
James
sah auf seine Uhr. Gur und Inglewing waren jetzt seit fünfzig Minuten weg. Und
er saß da und dachte an Karen, der sein Verschwinden vielleicht scheißegal war.
Es war, als säßen sie jetzt schon ewig hier zusammen,
in diesem blaugrünen Salon irgendwo im Unglaublichen, mit seinem warmen,
würzigen Duft von in Kräutern gebratenem Fleisch, vermischt mit dem Minzearoma
des Tees und dem intensiven Arnika-Geruch, den Carminos verbundener Unterarm
ausströmte. Es war, als stünde die Zeit still an diesem Ort, den es eigentlich
gar nicht geben durfte. Er konnte fühlen, wie sich der Anblick in sein Hirn
einbrannte, je länger sie warteten: Für immer würde er sich an das grüne
Rankenmuster auf den kleinen, schwarz glasierten Bechern erinnern, an die
bizarre Wollblase, die Carminos Mütze auf dem mitternachtsblauen Polster
bildete, und an den abgesplitterten schwarzen Nagellack auf Pix’ plumpen Fingern,
die pistaziengrünes, klebriges Gebäck hielten.
Die Frauen hatten sie mit einer Menge Essen versorgt,
damit ihnen die Zeit nicht lang wurde. Carmino ließ sich von der angespannten
Atmosphäre am wenigsten stören und hatte die Hälfte der Fleischplatte allein
abgeräumt. Zum Abschluss wurde eine Schale mit ungefähr einem Kilo Süßkram aus
Feigensirup, Mandeln und Pistazien auf den Tisch gestellt, um den die beiden
sich jetzt stritten wie die Kinder.
James hatte auch etwas gegessen und war beim vierten
Becher Tee. Aber er vergaß keine Minute lang, dass im nächsten Moment einer
dieser Custodians hier erscheinen und sie abführen konnte. Was dann?
Er war nicht mehr imstande, heute noch jemandem
irgendetwas zu erklären, schon gar nicht etwas so Absurdes wie ihre Anwesenheit
hier. Jeder vernünftige Mensch musste in ihnen die Flüchtlinge von diesem
Schiff vermuten. Er selbst hätte das auch getan. Und das hieß, dass sie so
schnell wie möglich aus der Gefahrenzone verschwinden mussten. Aber wollte er
wirklich bei einem Trupp fahrender Schausteller landen?
Es wäre nur für eine Nacht, redete er sich ein. Morgen
kommt Inglewing nach, holt uns ab und bringt uns zurück zum Wokkentop. Und dann
suchen wir den Rückweg. Den muss es ja geben.
Die Gebäckschale war leer, und Pix fing an durch den
Raum zu wandern, hin und her. Es war ganz still im Haus, und auch von der Stadt
draußen hörte man hier nichts. Er hatte den dreien schon alles über den
Nachmittag erzählt, was ihm wichtig erschien, und jetzt fiel ihm nichts mehr
ein. Als er gerade überlegte, was ihn vor dem Wahnsinn retten könnte, erklangen
endlich Schritte im Hof, und dann betrat Gabriel Gur den Salon.
„Nicholas Montagu ist bereit, euch mitzunehmen“,
verkündete er ohne Umschweife. „Ich habe ihm gesagt, dass ihr Freunde der
Familie seid und für eine Weile untertauchen müsst. Ich habe ihm mein Wort
gegeben, dass ich ihm keine Verbrecher schicke. Natürlich argwöhnt er, dass ihr
die Flüchtlinge seid, die hier alle suchen – eine Möglichkeit, die auch ich
immer noch in Betracht ziehe. Aber wie dem auch sei – Nicholas nimmt euch auf,
und damit seid ihr bei seiner Truppe sicher. Er schickt zwei seiner Leute mit
Kleidung über den Fluss, um euch abzuholen.“
„Aber die Kontrollen in der Stadt! Werden die uns denn
durchlassen?“, fragte James.
„Die Custodians schikanieren die Peregrini schon aus
Gewohnheit – damit müsst ihr also rechnen. Aber auffallen werdet ihr nicht,
denn die Montagus sind jetzt seit einer Woche in Rhondaport und ständig auf den
Straßen unterwegs. Sie haben diesmal so ein Tier dabei, einen kleinen Bären,
glaube ich, und der ist dauernd ausgebrochen und hat die ganze Stadt mit seinem
Unfug in Atem gehalten. Sogar die Zeitung hat darüber berichtet. Wenn sie
angehalten werden, werden sie also einfach sagen, dass sie auf der Suche nach ihrem
Bären sind.“ Der Schneider sah die seltsamen Gäste, die da in seinem Salon
versammelt waren, ernst an. „Hier könnt ihr nicht länger bleiben. Ich möchte
weder meine Familie noch mein Geschäft in Schwierigkeiten bringen euretwegen.
Ich habe deshalb mit meinem Schwager vereinbart, dass ihr im Haus des
Schweigenden Gottes auf seine Leute warten werdet. Und dahin bringe ich
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