Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
geflohen?“
Der Ghistriarde reagierte darauf nicht. Dafür sprang
Liripine so plötzlich auf, dass er beinahe seinen Stuhl umgeworfen hätte. „Straftäter?
Neinnein, es geht nicht um Straftäter! Versteht ihr denn nicht? Glaubt ihr,
dafür würden sie einen Ghistriarden schicken? Sagen Sie uns, was Sie bestätigen
sollten, Ska de Braose! Es geht um die Seuche ! Sie ist an Bord, nicht
wahr? Es geht um die Bendewikke!“
Auf einmal lag Totenstille über dem ganzen Raum. Ein
Ruf, der draußen im Park erschallte, erschien unnatürlich laut und alarmierend.
Aber das interessierte im Augenblick niemanden. Sie alle starrten den
Ghistriarden an, auch Michaelius. Jetzt, im Lampenlicht, sah man, dass de
Braoses Gesicht grau und abgespannt war.
„Ach was – Bendewikke! Sebastian, du bist –“, setzte
Oswiu an, aber er wurde von Liripine unterbrochen, der jetzt vom Tisch
wegstrebte und anscheinend möglichst viel Raum zwischen sich und de Braose
legen wollte.
„Sagen Sie es uns! Es ist die Bendewikke! Und Sie kommen direkt von diesem Schiff hierher und –“
„Wir werden das später besprechen, Sebastian!“
Michaelius gab sich endlich einen Ruck. „Ich bitte euch, bleibt hier und
genießt das Essen, während ich mich mit Ska de Braose berate.“
„Die Bendewikke, was für ein Quatsch, Sebastian!“,
grunzte Oswiu und nahm sich noch ein Stück Fleisch. „Der letzte Fall liegt
Jahrhunderte zurück – die Sache ist doch längst ausgestorben!“ Er sah sich am
Tisch um. „Jetzt kommt schon, Leute! Setzt euch! Lasst dieses verdammt gute
Schwein nicht kalt werden!“
Michaelius nickte ihm dankbar zu und wollte mit de
Braose das Zimmer verlassen, als sich die Stimme des Präfekten von Katteganda
auf einmal über alle anderen erhob.
„ Wenn die Monster der Tiefe aufsteigen und tot an
die Strände gespült werden, wenn der anschwellende Mond erscheint, dann hat
Kumatai ihren Weg ein weiteres Mal vollendet und kehrt zurück!’ “, rief
Liripine, der inzwischen vor der Fensterseite stand und ein Stück Papier in
seinen zitternden Händen hielt. Hinter ihm sah Dorian Lichter durch den Park
huschen. Man hörte auch noch mehr Rufe, aber immer noch achtete niemand darauf.
Liripine redete weiter, und seine Stimme wurde lauter
und höher, bis sie sich geradezu überschlug. „ Und ihr Seuchenantlitz zeigt
sie dem Land, den anschwellenden Seuchenmond! Die Berge lässt sie kreißen und
stürzt den Herrscher, dass seine Kinder schutzlos zurückbleiben. Dann wird der
Winter kommen und schwarzer Schnee die Lande bedecken von Nord bis Süd, von Ost
bis West. Salkurning wird Hungers sterben, Alt und Jung ohne Ansehen. Und – “
„Das ist poetisch, Sebastian, wirklich poetisch!“,
unterbrach Michaelius, der allem Anschein nach kein weiteres Wort davon
ertragen konnte. „Woher hast du das?“
„Himmel noch mal, ich lese es ab !“, kreischte
Liripine, und das Blatt entglitt seinen Fingern. „Es stammt aus der Liste der
Zeitalter, die hier in der Zeitung zitiert wird und die Offa vorhin als
Altweibergeschichte abgetan hat! Es ist alles da! Der Mond! Die Monster! Der
Berg! Und jetzt auch noch die Seuche!“
„Niemand außer dir hat von einer Seuche gesprochen“,
bemerkte Oswiu trocken und goss sich noch einmal reichlich Bratensauce über den
Teller.
Den Wutschrei, der nun durch den Park draußen gellte,
konnte niemand mehr überhören.
„Was zum –“, begann Michaelius und ging zur
Fensterfront hinüber. Mit ungeduldigen Bewegungen riss er die Tür zur Terrasse
auf. „Was ist da los?“
Rufe antworteten, die Dorian aber nicht verstehen
konnte. Laternenlichter flackerten zwischen den Bäumen von Michaelius’
Zitrushain. Inzwischen waren auch die anderen im Jagdzimmer aufmerksam
geworden, selbst Liripine hatte sich umgedreht und spähte hinaus. So sahen sie
alle die Gestalt, die im Mondlicht aus dem Park hervorstürmte und auf eine der
beiden Treppen zuhielt, die zur Terrasse hinaufführten. Dichtauf folgten die
Laternen, von denen eine dann zur Seite geworfen wurde, während der Diener, der
sie gehalten hatte, zu einem Sprint ansetzte.
„Ein Eindringling!“, keuchte Liripine. „Vielleicht ein
Attentäter!“
In der angespannten Atmosphäre, die seit de Braoses
Eintreten herrschte, fand das keiner der Anwesenden so komisch, wie sie es vor
zehn Minuten noch gefunden hätten.
„Ich sollte den Park wohl doch endlich einmal
sichern“, murmelte Michaelius und trat hinaus auf die Terrasse, gerade als
Weitere Kostenlose Bücher