Formbar. Begabt
nach Jan erkundigen kann. Ich werde meine Frage so formulieren, als sei ich sicher, dass er in diesem Krankenhaus liegt. Sollte das nicht länger so sein, spielt sowieso nichts mehr eine Rolle.
Ich setze mich auf eine Bank in der Nische ganz in der Ecke und blättere fahrig in einer Zeitschrift. Die Zeit dehnt sich wie Gummi, und nach fünf Minuten bin ich kurz davor, das Krankenhaus fluchtartig zu verlassen. Ich halte diese Warterei nicht aus. Ohne einen weiteren Gedanken stehe ich auf und stelle mich an die Empfangstheke, hinter der eine Dame in weißer Tracht wild gestikulierend ins Telefon schreit. Nachdem sie den Hörer aufgeknallt hat, dreht sie sich ungeduldig zu mir herum.
»Ja?«
»Ich möchte gerne meinen Freund besuchen, er heißt...«
Sie tippt mit ihren manikürten Fingernägeln gegen das Schild. »Tut mir leid, Besuchszeit erst ab 15 Uhr. Da gibt es keine Sonderregelungen. Auch die junge Liebe muss warten.«
»Können Sie keine Ausnahme machen?«
»Wie gesagt: Besuchszeit ab 15 Uhr. Ich mache die Regeln nicht, ich sorge nur dafür, dass sie eingehalten werden.«
Ich muss zu Jan. Jetzt. Zumal ich nicht einmal sicher bin, dass er sich wirklich noch im Krankenhaus befindet. Ich brauche Klarheit. Solange ich nichts Gegenteiliges erfahre, gehe ich davon aus, dass er hier ist. Sie wird mir schon mitteilen, falls es sich anders verhält.
Sag mir, in welchem Zimmer Jan Darstein liegt, und lass mich vorbei!
»Ich denke, ich kann eine Ausnahme machen. Scheinbar ist der Besuch wirklich sehr dringend.« Sie tippt etwas in ihren Computer ein. »Er liegt in Zimmer 352, dritter Stock, direkt links neben den Aufzügen.« Mit diesen Worten winkt sie mich vorbei, und ich betrete den Aufzug, bevor sie es sich anders überlegen kann. Kurz bin ich wieder von der Dimension meiner Gabe erschüttert, die der Empfangsdame eine Antwort entlockt hat, ohne dass ich die dazugehörige Frage stellen musste.
Jan.
Er ist hier. Er lebt. Und gleich werde ich ihn wiedersehen.
Mit einem leisen Schaben gleiten die Türen des Aufzuges auseinander. Ich bin im dritten Stock angekommen.
Bevor mich der Mut verlässt, überwinde ich die wenigen Schritte, die mich von Jans Zimmer trennen. Ich klopfe an.
»Ja?«
Mein Herz schlägt bis zum Hals, als ich den abgedunkelten Raum betrete. Im Bett vor dem Fenster liegt Jan und blickt mich an. Für einen Moment scheint mir, als könne ich Unsicherheit auf seinen Zügen erkennen. Doch bevor ich mich vergewissern kann, hat er bereits ein zurückhaltendes Grinsen aufgesetzt. Das dämmrige Licht lässt seine Züge blass erscheinen. Sein Gesicht scheint etwas schmaler geworden zu sein. Das Haar hebt sich tintenschwarz vom hellen Weiß des Kopfkissens ab. Es wirkt zerzaust und länger.
Erst jetzt erkenne ich, dass wir nicht alleine im Zimmer sind. Ein nett aussehender Arzt mit schütterem Haar und Brille hebt seinen Blick von einer Akte und lächelt mich an. »Sie müssen Jans Freundin sein, ansonsten kann ich mir nicht erklären, wieso Sie außerhalb der Besuchszeiten hier auftauchen.«
»Ääh... Ich..« Stotternd ringe ich um eine passende Antwort. Glücklicherweise rettet mich Jan aus der peinlichen Situation. »Genau. Das ist Hannah«, sagt er und grinst erleichtert.
Habe ich etwas verpasst? Er hält mich für seine Freundin? Die Freude bei meinem Anblick ist mehr als seltsam. Erinnert er sich nicht mehr an den verhängnisvollen Nachmittag?
Der Arzt lacht. »Nun, es beruhigt mich, dass du zumindest das noch weißt. Die Gedächtnislücke scheint sich auf den Tag des Unfalls zu beschränken.«
Nun wendet er sich mir zu: »Am Freitagabend wurde dein Freund vom Krankenwagen in der Notaufnahme abgeliefert. Bewusstlos. Mehrere Rippen gebrochen und eine schwere Gehirnerschütterung. Er kann sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was passiert ist.«
Ich starre stumm auf meine ineinander verschränkten Hände und suche krampfhaft nach einer lockeren Erwiderung. Schließlich flüchte ich mich in ein verlegenes Lächeln.
»Natürlich. Es muss für dich schwer sein, deinen Freund so zu sehen. Ich vergesse immer wieder, dass der Anblick eines Krankenzimmers nicht für alle Menschen zum Alltag gehört.« Er klemmt sich die Akte unter den Arm und geht zur Tür, wobei er mir im Vorbeigehen ermunternd auf die Schulter klopft. »Keine Sorge, er befindet sich auf dem Weg der Besserung. Ich lasse euch beide jetzt allein, damit es sich wenigstens gelohnt hat, dass du dich an der Rezeption
Weitere Kostenlose Bücher