Formbar. Begabt
einem erstickten Lachen klingt. Erbost springe ich vom Stuhl und baue mich direkt vor seinem Bett auf.
»Findest du das komisch, du Spinner? Du dachtest, ich würde das von dir erwarten! Was denn bitte? Dass du über mich herfällst und jeder Widerstand zwecklos ist? Welche Frau auf dieser Welt würde so etwas erwarten?« Ich werde immer lauter, sodass ich ihn bei meinen letzten Worten regelrecht anschreie. »Oder glaubst du, meine Wünsche besser einschätzen zu können als ich selbst? Dann lass es dir noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt sein: Ich! Wollte! Nicht!«
Jan schaut entgeistert zu mir auf und schweigt. Er scheint sich der Gefahr, in welcher er schwebt, bewusst zu sein. Ich bin kurz davor, mich auf ihn zu stürzen.
»Ich gehe in die Oberstufe. Ich bin achtzehn, und ich hatte schon einige Freundinnen.« Er hält kurz inne und versichert sich, dass ich bereit bin, ihm zuzuhören. Mit einem knappen Nicken bedeute ich ihm, weiterzusprechen. Ich bin gespannt, wie er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen will.
»Ein Kuss beim ersten Date ist nichts Besonderes für mich. Und für die Frauen, mit denen ich zusammen war, ebenfalls nicht.«
Mit zusammengekniffenen Augen fixiere ich ihn. »Wie viele Freundinnen hattest du schon?«
Jan erwidert meinen Blick. »Fünf. Wirklich verliebt war ich nicht. Während wir zusammen waren, habe ich mir Verliebtheit eingebildet. Im Nachhinein betrachtet ging es nur um Sex. Wir hatten unseren Spaß miteinander. Zumindest solange, bis ich merkte, dass die andere Person Gefühle für mich entwickelte, die ich nicht erwidern konnte. Das war dann der Moment, in dem ich Schluss gemacht habe.«
Unschlüssig denke ich darüber nach, ob ich Jan Glauben schenken soll. Eine hübsche Geschichte hat er sich da ausgedacht. Scheinbar spiegeln sich die Zweifel deutlich in meiner Mimik wider, denn Jan seufzt. »Bei unseren Treffen wirktest du so kühl und selbstbewusst, dass ich annahm, du hättest schon einige Erfahrung mit Männern. Und deine Küsse waren eine weitere Bestätigung. So küsst niemand, der darin keine Übung hat.«
Empört weiche ich ein Stück von ihm zurück. »Da hast du dich wohl getäuscht. Du bist nicht nur der erste Mann, den ich geküsst habe, sondern auch der erste, der mir an die Wäsche gegangen ist. Glückwunsch, du Frauenversteher!«
Noch während ich ihm die Worte entgegenschmettere, wird mir bewusst, welche Botschaft seine Erklärung noch beinhaltet. Er ist der Meinung, ich würde gut küssen. Wenn das mal kein Kompliment von einem erfahrenen...
Äh. Nein.
Jan richtet sich ein wenig auf. »Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du noch keinen vor mir geküsst hast?«
Ich nicke wortlos. Forschend schaut er mich an und scheint zu überlegen, ob er mir glauben kann. Dann weicht plötzlich alle Spannung aus seinem Körper. »Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt.« Er lässt den Kopf nach vorne sinken und greift sich mit der Hand in den Nacken. »Ich schäme mich. Dafür, dass mir das nicht aufgefallen ist. Dafür, dass ich dich in diese unangenehme Lage gebracht und bedrängt habe. Mein Verhalten war völlig unangebracht, sowohl nach dem Kino als auch an dem Abend in meinem Zimmer. Deine Reaktion war angemessen. Aber wie...«
Die Frage steht unausgesprochen zwischen uns im Raum. Gerade fühle ich mich nicht in der Lage, ihm von meiner Kraft zu erzählen. Seine Erklärungen und die darin verborgene Entschuldigung bringen mich völlig aus dem Konzept. Ich muss hier raus. Ich werde mich nicht unüberlegt in die nächste Schlacht stürzen.
Mit einem knappen Lächeln bewege ich mich vom Bett weg. »Gut, dann ist das ja geklärt. Ich bin froh, dass du nicht schwer verletzt bist. Gute Besserung!« Ohne Jan eines weiteren Blickes zu würdigen, trete ich auf den Gang hinaus und schließe die Tür hinter mir.
***
In den vergangenen Jahren meines langen Lebens gab es nur eine Frau, die es wert war, Zeit zu investieren. Sie war wenige Jahre jünger als ich, und von Anfang an erkannte ich das Besondere zwischen uns.
Wenn wir zusammen waren, knisterte die Luft vor Elektrizität.
18
Eingeweiht
Nur knappe vierundzwanzig Stunden später stehe ich wieder auf dem Krankenhausflur vor dem Zimmer mit der Nummer 352 und frage mich, ob ich eigentlich von allen guten Geistern verlassen bin.
Den kompletten gestrigen Tag, die letzte Nacht sowie den heutigen Morgen habe ich damit verbracht, Gedanken in meinem Kopf herumzuwälzen und jede vorstellbare Reaktion samt
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