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Formbar. Begabt

Formbar. Begabt

Titel: Formbar. Begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juna Benett
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Tränen freien Lauf.
    Wie konnte er mir das antun?
    Er hat mein Vertrauen ausgenutzt.
    Mich eiskalt manipuliert.
    Mit meinen Gefühlen gespielt.
    Hätte er es wirklich zum Äußersten kommen lassen?
    Gegen meinen Willen?
    Er hat dafür bezahlt.
    Er wollte mich gegen meinen Willen zu etwas zwingen.
    War das wirklich so?
    Wurde er von seinen Gefühlen überwältigt?
    Und inwieweit trifft mich die Schuld an dieser Katastrophe?
    Im Nachhinein betrachtet bin ich mir schon wieder unsicher, ob ich ihn nicht auf irgendeine Art ermutigt habe. Was, wenn er die Signale meines Körpers besser deuten konnte als ich? Wenn ich ihn eigentlich doch wollte und mir nur mein Verstand im Weg war?
    Und wenn er nun tot ist?
    Meine Reaktion ist durch nichts zu rechtfertigen.
    Ich habe völlig übertrieben.
    Die Schuldgefühle fressen mich auf. Sollte Jan im Koma liegen, gelähmt sein oder einen anderen bleibenden Schaden erhalten haben, würde ich es mir niemals verzeihen. Sobald ich die Augen schließe, durchlebe ich diesen schrecklichen Moment, in welchem Jans Körper an die Wand prallt und leblos am Boden liegt. Ich stelle die Duschtemperatur hoch. Das heiße Wasser gräbt sich jetzt wie Nadelstiche in meine Haut. Es tut weh, aber immer noch nicht so sehr wie der Gedanke an Jan. Ich drehe weiter und beiße vor Schmerz die Zähne fest aufeinander.
    Jans unnachgiebiger Griff um meinen Oberarm. Seine Hand auf meinem Rücken. Sein Kuss.
    Wie konnte er mir das antun?
    Jan bewusstlos am Boden. Sein Gesicht totenbleich. Sein Puls kaum noch vorhanden.
    Hat er überlebt?
    Der spitze Knochen, der aus seiner Schulter ragte. Überall Blut.
    Was habe ich getan?
    »Hannah? Bist du bald fertig? Schon auf die Idee gekommen, dass andere Leute irgendwann ins Bett wollen?«
    Simons spöttische Bemerkung reißt mich aus meinen quälenden Selbstvorwürfen. Schnell drehe ich das Wasser ab und hülle mich in ein großes Handtuch. Meine Haut ist glühend rot. Nachdem ich meine Haare weitgehend trocken geföhnt und die Zähne geputzt habe, verlasse ich das Bad und gehe, das Bündel mit den blutverschmierten Kleidern unterm Arm, an meinem Bruder vorbei. Er wirft mir wütende Blicke hinterher, zieht es aber vor, nichts zu sagen. Schnell ziehe ich meinen Schlafanzug an, schalte das Licht aus und verkrieche mich unter der Bettdecke.
    Als meine Mutter wenig später ins Zimmer kommt, stelle ich mich mit langen, gleichmäßigen Atemzügen schlafend. Sie bleibt neben mir stehen, seufzt und streichelt mir liebevoll über das Haar. In diesem Moment möchte ich am liebsten in ihren Armen zusammenbrechen und ihr alles erzählen. Doch bevor ich mir ein Herz fassen kann, hat sie das Zimmer wieder verlassen. Ich bleibe alleine zurück und weine mich in den Schlaf.
    Das folgende Wochenende gehört zu den schlimmsten Tagen meines Lebens.
    Was ist, wenn Jan nicht mehr aufwacht?
    Was ist, wenn Jan aufwacht?
    Jeden Augenblick rechne ich damit, dass die Polizei vor unserer Tür steht, um mich mit meinem Vergehen zu konfrontieren. Doch nichts passiert und ich versinke weiter in meiner Lethargie. Meine Eltern akzeptieren stillschweigend, dass ich nicht bereit bin, mit ihnen zu reden. Nur Simon geht mir zunehmend auf die Nerven, bis mein Vater ihn mit einem scharfen Zischen zum Schweigen bringt.
    Am Montagmorgen fühle ich mich nur geringfügig besser. Am liebsten würde ich die Schule heute ausfallen lassen, aber der bloße Gedanke an den sorgenvollen Blick meiner Mutter lässt mich geradezu aus dem Bett springen. Sie würde mir eine Entschuldigung schreiben, doch dann wäre auch eine Erklärung fällig.
    Nachdem ich mich halbwegs präsentabel hergerichtet habe – leider reicht mein Makeup für die dunklen Augenringe, die mir im Spiegel entgegen blicken, nicht aus – versuche ich, das morgendliche Zusammentreffen mit meiner Familie positiv zu gestalten, indem ich eine optimistische Grundstimmung ausstrahle. Der bekümmerte Ausdruck auf dem Gesicht meiner Mutter macht mir jedoch deutlich, dass diese Mission gründlich gescheitert ist. Nachdem mein Vater und Simon kurz nacheinander die Küche verlassen haben, stellt sie sich dicht neben mich. »Schatz. Du weißt, dass du mir alles sagen kannst.«
    Plötzlich habe ich einen so dicken Kloß im Hals, dass ich nur noch stumm nicken kann. Ich schlucke, und als ich endlich wieder sprechen kann, ohne dabei in Tränen auszubrechen, klingt meine Stimme heiser. »Der Freitagabend ist nicht sonderlich erfolgreich verlaufen.«
    Jan hat mich

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