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Formbar. Begabt

Formbar. Begabt

Titel: Formbar. Begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juna Benett
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ausgenutzt?
    Wäre er bis zum Äußersten gegangen?
    Mit einem Schaudern erinnere ich mich an die erbarmungslose Kraft, mit der er mich festhielt und berührte. Nichtsdestotrotz sitze ich wohlbehalten in der Schule, während er im Krankenhaus liegt. Zumindest hoffe ich, dass er sich dort befindet.
    Wurde er von seinen Hormonen überwältigt?
    Hat er um Fassung gekämpft, um kurze Zeit später von mir abzulassen?
    War meine Panik grundlos?
    Hat er mich nur ein wenig zu stürmisch geküsst?
    Wollte er mir überhaupt etwas tun?
    Hat er es verdient, so hart gegen die Wand geschleudert zu werden, dass er bewusstlos wird und im schlimmsten Fall nie wieder aufwacht?
    Und dann bricht erneut dieser eigensüchtige Gedanke an die Oberfläche, den ich am liebsten in den hintersten Winkel meines Gehirns verbannen würde.
    Was wird Jan erzählen, wenn er zu sich kommt?
    Sowohl den Sanitätern als auch den Ärzten wird klar sein, dass er sich nicht selbst bewusstlos geschlagen hat. Sobald er meinen Namen ins Spiel bringt, werden Ermittlungen anlaufen, die sich mit dem Geschehen beschäftigen.
    Unwillkürlich schaue ich mich im Klassenraum um. Natürlich ist alles wie vorher. Keine Polizei, die in den Saal gestürmt kommt, um mich zu verhören. Egoistische Idiotin. Zuerst sollte ich herausfinden, wie es Jan geht. Für die Sorge um mich bleibt ausreichend Zeit. Spätestens, wenn ich in Gewahrsam genommen werde...
    Das ist lächerlich. Trotzdem ist mir schlecht vor Angst.
    Den Rest des Vormittags verbringe ich in einem Zustand geistiger Abwesenheit. Bei jedem lauteren Geräusch, von denen es in einer Schule Unmengen gibt, zucke ich zusammen und erwarte, von der Polizei abgeführt zu werden.
    In der Pause tische ich Viv die zuvor erfundene Geschichte auf und sehe dabei so elend aus, dass sie nicht auf den Gedanken kommt, daran zu zweifeln. Sie widerspricht ebenfalls nicht, als ich mich direkt nach der Schule alleine auf den Nachhauseweg mache. In meinem Kopf ist nur Platz für zwei Gedanken. »Wie geht es Jan?« wechselt sich ab mit »Wann werden sie mich zum Verhör holen?«. Mittlerweile ist mir klar, dass meine Tat Folgen haben wird. Dass ich bisher unbehelligt blieb, kann nur bedeuten, dass Jan nicht zu sich gekommen ist. Vor Sorge nehme ich meine Umwelt wie durch einen dichten Nebel wahr. Die Stunden fließen ineinander, nichts kann mich aus meiner vermeintliche Lethargie reißen.
    Nach zwei Tagen, ohne etwas von Jan gehört zu haben, bin ich zumindest sicher, dass er nicht in der Schule war. Außer Viv hat mich niemand auf sein Fehlen angesprochen. Ihr konnte ich glaubhaft versichern, dass ich keine Ahnung habe, wo er steckt.
    Ist er überhaupt wieder aufgewacht? Hätte ich nicht längst ein Zusammentreffen mit der Polizei überstehen müssen? Was, wenn er wirklich tot ist?
    Ich halte diese Ungewissheit nicht mehr aus. Ich brauche Klarheit über das Ausmaß meiner Tat. Ich muss ihn sehen. Das ortsansässige Krankenhaus könnte ich ohne Weiteres nach der Schule mit dem Bus erreichen.

***
    Kontrolle ist das Schlüsselwort.
    Bei jeder Anwendung der Gabe ist die totale Konzentration und Fokussierung auf das gewünschte Ergebnis vonnöten. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, so kann es durch den Kontrollverlust zur impulsiven Verwendung kommen, die ein hohes Risiko in sich birgt.

17
    Gereizt
    Bereits während ich mich im Bus auf einem Sitz niederlasse, verspüre ich erste Zweifel. Garantiert bin ich die letzte Person, die er jetzt sehen will, sofern er überhaupt bei Bewusstsein ist. Werde ich mit der Schuld leben können, sollte das nicht der Fall sein? Ich presse die Lippen zusammen und versuche, ruhig zu atmen. Um mich abzulenken, schaue ich aus dem Fenster. Die Außenwelt zieht wie eine undefinierbare Masse an mir vorbei. Statt der Spiegelung meines Gesichtes in der Scheibe habe ich Jans leblosen Körper am Fuß der Wand vor Augen. Ich schließe die Lider, doch das Bild ändert sich nicht.
    Viel zu schnell sind wir am Zielort angekommen, und wenige Minuten später stehe ich auf dem Gehweg vor dem Krankenhaus, das sich in bleiernem Grau vom fahlen Blau des Himmels abhebt. So groß und bedrohlich erschien es mir noch nie. Ich bohre meine Fingernägel in die Handflächen und hole tief Luft, dann betrete ich das Gebäude. Der große Eingangsbereich, von dem verschiedene Gänge abzweigen, ist fast leer. Das Schild an der Rezeption verrät mir, aus welchem Grund: Besuchszeiten 15 – 17 Uhr. Noch anderthalb Stunden, bis ich mich

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