Formbar. Begabt
Glas glücklicherweise auf mich wartet. Ich leere es in einem Zug und hole mir direkt Nachschub. Meine Hände zittern so sehr, dass ich kaum die Schöpfkelle halten kann.
»Alles okay. Ich helfe dir.«
Jan legt seine warme Hand auf meine und versucht mir zu helfen, die Kelle ruhig zu halten. Da aber bei der Berührung wieder der vertraute Funke überspringt, landet mehr Flüssigkeit auf dem Tisch als in meinem Glas.
Liebevoll führt mich Jan durch die Menge, während ich an meinem Getränk nippe, und in meinem Kopf unentwegt der gleiche Gedanke kreist. Es hat nicht funktioniert. Mittlerweile ist die Nacht hereingebrochen, und ich fröstle in meinen nassen Kleidern.
»Du hast bestimmt Sachen für morgen in deiner Reisetasche, oder? Willst du dich nicht umziehen, bevor du dir eine Erkältung holst?«
Ich nehme einen weiteren Schluck und starre unentschlossen auf den Boden.
»Oder ist es dir lieber, wenn wir heimfahren?«
»Ehrlich gesagt würde ich am liebsten gehen. Ich habe das Gefühl, dass mich alle anglotzen und sich über mich amüsieren.«
»Wie du möchtest. Unseren grandiosen Auftritt hatten wir immerhin.«
Ich setze mich zitternd ins Auto, während Jan meine Reisetasche holt. Gemeinsam verlassen wir die Party.
Jan dreht die Heizung hoch und lässt das Auto an. Von der Seite werfe ich einen Blick auf ihn. Im Licht der Straßenlaternen kann ich erkennen, dass er die Augen zusammengekniffen und die Stirn in Falten gelegt hat.
»Alles okay?«
Er bejaht knapp. Nach wenigen Minuten bin ich mir jedoch sicher, dass etwas mit Jan nicht in Ordnung ist. Seit wir im Auto sitzen, ist seine Laune rapide gefallen.
»Jan, was ist los?«
»Es ist nichts. Ich brauche nur ein wenig Ruhe.«
Für kurze Zeit hänge ich meinen Gedanken nach, bis mein Redebedürfnis siegt.
»Warum hat meine Gabe nicht funktioniert?«
Jan schweigt und beißt die Zähne aufeinander.
»Ich hatte ein Gegengewicht erzeugt, und plötzlich war es weg.«
Ein Auto kommt uns entgegen. Sein Lichtkegel leuchtet uns geradewegs ins Gesicht. Jan schließt mit einem schmerzerfüllten Stöhnen die Augen.
»Verdammte Scheinwerfer. Ich hätte nicht gedacht, dass das grelle Licht so wehtun würde. Ein Gruß von der Gehirnerschütterung, die du mir verpasst hast.«
Ich ziehe es vor, dazu nichts zu sagen. Besser nicht weiter provozieren. Die Befürchtung, er könne im Dunkeln von den Scheinwerfern der anderen Autos geblendet werden, war also doch gerechtfertigt.
»Du kannst auch an den Straßenrand fahren und wir warten, bis weniger Verkehr herrscht.«
Jan schüttelt verbissen den Kopf. Dann eben nicht. Die nächsten Scheinwerfer lassen ihn qualvoll zusammenzucken. Möglicherweise ist es eine Option, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
»Zum ersten Mal hat meine Gabe versagt. Warum? Ich habe nichts anders gemacht als sonst.«
Er stöhnt. »Hannah...«
»Gedankenimpuls formulieren, ausgeben, es passiert.«
»Hannah.«
»Dass ich meinen eigenen Körper nicht beeinflussen kann, weiß ich. Deshalb habe ich die Gabe auf meine Kleidung angewendet. Vielleicht hatte ich zu wenig Zeit? Aber kurzzeitig hatte es geklappt. Wieso bin ich schließlich doch gescheitert?«
Jan seufzt entnervt. Ich ignoriere ihn, schimpfe ungeachtet seiner Kopfschmerzen weiter und werde vor Aufregung immer lauter. In diesem Moment komme ich nicht auf den Gedanken, dass mein Lamentieren alles schlimmer macht.
»Kann sich jemand dagegen gestellt haben? Das ergibt keinen Sinn. Wo soll jemand, der dazu in der Lage ist, auf einmal herkommen, und welches Interesse könnte er daran haben, mich in einen Teich zu schubsen? Nein, das war es nicht. Aber warum hat es nicht funktioniert? Bisher hat es immer geklappt. Ich bin noch nie gescheitert. Ich konnte mich immer darauf verlassen. Warum! Hat! Es! Nicht! Funktioniert!«
In diesem Moment verliert Jan komplett die Beherrschung. Er schlägt mit beiden Händen aufs Steuer und brüllt dermaßen laut, dass ich dem Impuls widerstehen muss, meine Ohren zuzuhalten. »Verdammt Hannah! Jeder Former weiß, dass man die Realität nicht beugen kann, wenn sie in so vielen Zuschauern verankert ist.« Plötzlich ist es bis auf das gleichmäßige Geräusch des Motors totenstill im Auto. Schließlich spricht er in gemäßigterem Tonfall weiter. »Oder wie auch immer man das nennen soll. Können wir das Gespräch vertagen, bis wir zu Hause sind? Mein Kopf bringt mich um. Ich habe solche Schmerzen, dass ich nicht mehr klar denken kann. Ich will uns nur
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