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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliane Reinert
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plötzlich inne und beschloss, zurückzukehren. Sie stieß gegen Leute, die aussteigen wollten und kämpfte gegen den Strom, bis sie wieder am Abteil Neun angelangt war.
    Der Hexer und ich taten dasselbe, denn wir waren natürlich gespannt, was sie zu sagen hatte.
    »Wann hat sie das Baby verloren?«
    Er schaute sie überrascht an.
    »Es ist so lange her, dass ich es nicht genau sagen kann.«
    Sie senkte den Kopf, bedankte sich und ging.
    Nachdem sie den Zug verlassen hatte, setzte sie sich auf eine Bank auf dem Bahnhof. Der Diener trat an sie heran und überreichte ihr einen Umschlag.
    »Wie heißen Sie?«, wollte sie wissen.
    »Nivaldo«, antwortete er, ohne sie anzuschauen. Dieses Verhalten war damals eine Regel, man drückte damit Respekt und Unterwerfung aus. Untergebene wurden praktisch wie Gegenstände behandelt, auch wenn das auf den Herrn im Zug nicht zutraf.
    »Haben Sie Kinder?«
    Er räusperte sich und stand weiter kerzengerade und mit erhobenem Kinn da.
    »Ja, gnädige Frau, eine Tochter.«
    »Ich wünsche ihr viel Glück.«
    Als der letzte Pfiff ertönte, grüßte Nivaldo bescheiden zum Abschied und eilte zum Zug.
    Sie wollte den Umschlag nicht auf dem Bahnhof öffnen, sondern zog es vor, abzuwarten und in den Regen zu schauen. Sie beobachtete, wie die Vögel das Wasser tranken und dabei einen merkwürdigen Tanz um die Pfützen veranstalteten. Für eine lange Zeit hatte sie die Realität vollkommen vergessen. Jetzt kamen die Fakten wieder in ihre Erinnerung, und sie wünschte sich, das alles sei nur ein Albtraum.
    Der Zug nach Madrigal fuhr ein. Sie trat in das Abteil, in dem eine junge Frau saß. Sie verspürte keine Lust, ein Gespräch zu beginnen, sondern hing noch in Gedanken an diesem letzten Dialog.
    , dachte sie und biss sich auf die Lippen.
    Sie versuchte mit einer gewissen Angst, Ähnlichkeiten zwischen ihr und ihrem Vater auszumachen, denn sie war, im Gegensatz zu ihm, hellhäutig. Sie schauderte, als sie ihr eigenes Spiegelbild im Fenster sah.
    Dann betrachtete sie die feuchte Landschaft. Die Pflanzen schienen dem Himmel für den Regen zu danken. Alles war grün, als ob die Hoffnung in den leidenden Herzen neu aufblühen würde. Nach dem Regen war alles verändert, die Landschaft strotzte im satten Grün.
    Sie wusste immer noch nicht, was der Umschlag enthielt. Aber sie hatte Bedenken, ihn zu öffnen, noch dazu vor dieser unbekannten Frau. Also zog sie es vor, zu warten.
    Als sie in Madrigal ausstieg, ging sie direkt in die Toilette, um ihre Neugier zu stillen.
    Der Umschlag enthielt Geld und eine kleine Notiz.
    Am nächsten Dienstag kommt ein Chauffeur, der Sie in die Hauptstadt bringt. Bitte warten Sie am Bahnhof.
    Sie hatte erzählt, dass Tim in der nächsten Woche aus dem Krankenhaus entlassen werden würde und dass sie ihn dort abholen musste.
    Sie ging in den Laden, um mit Genésio über diese Reise zu sprechen, aber hinter dem Tresen stand Yapoula.
    »Der Patron ist verreist, Dona Tyanna.«
    Sie fühlte den dringenden Wunsch, über Kaluga zu sprechen. Der Angestellte wusste bestimmt irgendetwas; er hatte vielleicht einige Worte aus den Gesprächen zwischen Genésio und dem Coronel über seine Haft aufgeschnappt oder ihn womöglich selbst dort besucht. Sie bemerkte eine gewisse Nervosität in den Bewegungen des Sklaven, besonders, als ein Glas seinen Händen entglitt und auf dem Boden zerbrach. Ausgerechnet Yapoula, der immer so ausgeglichen war.
    Sie verzichtete auf die Fragen, verließ den Laden und ritt langsam auf ihrem sanften und gehorsamen Pferd, das kaum geführt werden musste. Es entstand ein Verhältnis zwischen ihr und diesem Tier, das mit jedem Wort tiefer wurde.
    Als sie in der Fazenda ankam, nahm sie ein Bad und widmete sich anschließend etwas entspannter wieder dem Umschlag des netten Herrn mit dem Namen Tim. Sie zählte das Geld und las, was auf der Visitenkarte stand.
    Dr. Tim Brant
    Richter
    »Er ist also Richter geworden«, dachte sie.
    Nachdem sie den Umschlag unter der Matratze versteckt hatte, verließ sie, einer Eingebung folgend, das Zimmer. Sie traf Esperanza im Haus ihrer Eltern.
    »Wissen Sie schon, wo er ist?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Ich werde Rufino fragen, der weiß es mit Sicherheit.«
    »Tun Sie das nicht«, sagte der alte Mann. »Das wäre genauso, als würden Sie einen Wolf über die Schafe befragen.«
    Sie ging zum Fenster und dachte über diese Worte nach. Dieser alte Mann mit den müden Augen, dem verfallenen

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