Fortunas Odyssee (German Edition)
schön wie sie.«
»Danke.«
»Wie viel brauchen Sie für Ihren Sohn?«
Mama atmete tief durch. Sie war von der Frage überrascht, denn sie hatte den eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit in diesem Zug vorübergehend vergessen.
»Ich weiß es nicht. Er ist in einem staatlichen Krankenhaus in der Hauptstadt, und ich muss die Medikamente und seinen Aufenthalt dort bezahlen. Aber ich bin nicht in der Lage, …«
»Kein Problem. Ich werde Ihnen helfen.«
Plötzlich hob sie ruckartig ihren Kopf, als hätte sie einen Schreck bekommen.
»Entschuldigen Sie bitte, wie heißen Sie eigentlich?«
»Tim Brant.«
Sie, ich und der Hexer saßen buchstäblich mit offenen Mündern da.
»Tim?«, fragte sie, als hätte sie nicht richtig verstanden.
»Ja, Tim.«
»So heißt mein Sohn, der im Krankenhaus liegt…«
Er beugte sich mit dem Körper nach vorn.
»Warum haben Sie ihm ausgerechnet diesen Namen gegeben?«
Sie brach in ein Gelächter aus.
»Es war der Wunsch meiner Mutter«, antwortete sie und bemerkte, dass er auch lachte. »Noch bevor ich geheiratet habe, wünschte sie sich, dass ich, wenn ich einen Sohn hätte, ihm diesen Namen geben solle. Als mein erster Sohn zur Welt kam, wollte mein Mann ihn Frederico nennen – wegen eines deutschen Philosophen. Als der Zweite geboren wurde, haben wir ihr den Wunsch erfüllt.«
Die beiden schauten sich an und sie stammelte:
»Ich habe sie nie nach dem Grund gefragt.«
Er schaute aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich verdunkelt, schwere Regenwolken waren aufgezogen.
»Es gibt Dinge, die in einem bestimmten Moment geschehen sollen. Ich glaube, dieser Tag war ein Geschenk für mich.«
»Für mich ebenso. Sowohl wegen Ihrer Hilfe als auch wegen dieser Geschichte.«
»Sie sind aufrichtig, und das öffnet Türen«, antwortete er und trank in einem Zug sein Glas Wasser aus.
Der Regen klatschte gegen die Scheiben, und draußen bogen sich die Bäume unter den Windböen. Einige Blitze zuckten vom Himmel, und der darauffolgende Donner erschreckte die Kinder. Wir hörten ihr Weinen und das Gemurmel beruhigender Worte, die wir nicht genau verstanden. Wahrscheinlich sagten die Mütter etwas Ähnliches wie »das ist die Stimme Gottes« oder »schlaf, es ist bald vorbei«. Der Zug fuhr ruhig und stetig weiter.
»Haben Sie von ihrem Tod erfahren?«, fragte Mama, um das Schweigen zu brechen.
»Ja, aber ich wollte nicht zum Begräbnis gehen. Ich wollte das Bild behalten, das ich von ihr hatte, als sich ihre Schönheit mit dem Duft der Blumen vermischte und ich aus ihrem Mund die Worte hörte, auf die ich so lange gewartet hatte.«
Mama senkte ihren Kopf und er ließ sich nicht weiter über die Gefühle aus, die er gehabt hatte, als ihre Blicke sich getroffen und die Botschaft der Liebe ausgetauscht hatten.
Mama hatte immer gedacht, dass meine Großeltern aus Liebe geheiratet hätten. Auf dieser Zugreise erfuhr sie, dass sie sich geirrt hatte.
So ist das Leben und so werden seine Seiten geschrieben. Glückliche Zufälle und verpasste Chancen, eine Liebe, die nicht mit der Zeit vergeht. Menschen, die von uns gehen und uns trotzdem das ganze Leben lang begleiten, Menschen, die man sofort wieder vergisst und andere, die uns die Bedeutung des Wortes aufzeigen. Leben bedeutet, zu lieben und Menschen zu verlieren. Und sich in der Liebe zu verlieren.
Der nächste Bahnhof, das Ziel dieser ungewöhnlichen Reise, erschien hinter den Hügeln.
Als der Zug einfuhr, gab er ihr seine Visitenkarte mit seinem Namen, Adresse und Telefonnummer. Sie war so aufgewühlt, dass sie nicht richtig las, was dort geschrieben stand, sondern die Karte gleich in die kleine Handtasche steckte.
»Mein Angestellter begleitet Sie.«
Er rief seinen Diener und flüsterte ihm seine Anweisung ins Ohr. Dann verabschiedete er sich von ihr mit einer herzlichen Umarmung. Sie fühlte sich, als läge sie in den Armen ihres Vaters. Wie oft hatte sie so in seinen Armen gelegen, ihr Gesicht an seine Brust gedrückt und eine große Liebe empfunden.
Aber hier, an der Brust dieses Unbekannten, empfand sie eine beklemmende Unruhe. Es kam ihr vor, als würde sie, wenn er seine Reise fortsetzte, ein weiteres Mitglied ihrer Familie verlieren.
Der erwartete Abschied. Das Trauma des Abschieds.
Wie oft hatte Mama sich in den letzten Monaten verabschiedet? Schmerzliche Abschiede…
Aber warum empfand sie dasselbe bei diesem Fremden? Warum wollte sie ihn nicht verlieren?
Als sie schon auf der ersten Stufe stand, hielt sie
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