Fortunas Odyssee (German Edition)
andere um uns herum. Wir verliebten uns ineinander, und es war unausweichlich, dass wir schließlich vom General entdeckt wurden. Er mochte mich nicht, denn er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Tochter niemals einen Anwalt heiraten dürfte. Ihre Mutter«, er deutete auf Mama, »das heißt, Ihre Großmutter, versuchte, sich für uns einzusetzen und erhielt dafür vor der ganzen Familie einige Ohrfeigen – und das an Weihnachten.
Sogar mein Vater bemühte sich um uns, mit dem Erfolg, dass die Freundschaft zwischen ihm und dem General abrupt beendet wurde.
Wir fanden einen Weg, uns weiter heimlich zu treffen. Auf diese Weise konnte sie mit der Lektüre des Buches fortfahren, das sich jetzt in meinem Besitz befand. Ich behielt es sozusagen als Pfand bei mir, sie konnte es nur mit mir zusammen lesen.
Aber als wir den letzten Satz der Geschichte gelesen hatten – etwa ein Jahr, nachdem der General mich aus der Bibliothek herausgeworfen hatte –, gestand sie mir, dass sie das Buch vorher schon zweimal gelesen hatte.
Wir planten, nach meinem Diplomabschluss zu heiraten und zu fliehen. Ich studierte die beiden folgenden Jahre verbissen, und wir hielten den schriftlichen Kontakt aufrecht, wobei wir Pseudonyme benutzten und die Briefe an eine ihrer Freundinnen schickten, die uns allerdings bald beim General verriet. Wir wurden erneut voneinander getrennt. Danach versuchte ich zwei Jahre lang, den Kontakt wieder aufzunehmen, leider ohne Erfolg, denn sie waren umgezogen.
Aber an einem unvergesslichen Abend traf ich sie auf einem Militärfest. Ohne dass es der General, der im Nachbarsaal an der prunkvollen Galaveranstaltung teilnahm, bemerkte, verließen wir das Fest mit meinem Auto und verbrachten zwei Stunden gemeinsam. Nach dieser Nacht erhielt ich nur schlechte Nachrichten.«
Er hielt in seiner Erzählung inne und klopfte an die Tür, woraufhin sein Angestellter erschien. Er gab ihm nur ein kleines Zeichen mit der Hand, und drei Minuten später kam der Diener mit Wasser, Wein und Tee zurück. Sein Chef fuhr mit der Geschichte fort.
»Die schlechteste dieser Nachrichten erhielt ich, als ich erfuhr, dass ein Lateinamerikaner, der sich schon länger für sie interessiert hatte, schließlich die Erlaubnis bekam, sie zu heiraten.«
»Er war bereits alt und er wusste nicht mehr so richtig, was er tat«, unterbrach ihn Mama.
Der Mann lächelte und schüttelte verneinend den Kopf.
»Der General schuldete dem Lateinamerikaner einige Gefälligkeiten. Aus diesem Grund akzeptierte er den Heiratsantrag, der nicht der erste war.«
»Opa war ein Banker«, sagte Mama und akzeptierte ein Glas Wasser.
»Ganz genau. Ein Banker, bei dem der General Schulden hatte.«
Für einige Augenblicke herrschte Stille.
»Nun gut«, fuhr er fort, »Ihre Großmutter nahm Kontakt zu mir auf, und wir trafen uns heimlich. Bei diesem Treffen erzählte sie mir, dass ihre Tochter vorher eine Schwangerschaft hatte. Ich suchte den General auf und stellte ihn zur Rede. Er bestätigte die Abtreibung und meinte, ich hätte seine Tochter geschändet. Um die Ehre der Familie zu retten, hätte sie schnell heiraten müssen. Er informierte mich, dass das Problem schon gelöst sei.«
»Wusste mein Vater davon?«
»Ja. Sie selbst hat es ihm gesagt, aber trotzdem hat er sie als Jungfrau aus gutem Hause geheiratet.«
Mama riss die Augen auf.
»Und zur Freude des Generals wurde sie kurz nach der Hochzeit wieder schwanger.«
»Donnerwetter!«, staunte ich und schaute zum Hexer. Er stand auf und klopfte mir auf die Schulter.
»Tim, Sie dachten schon, Sie seien der Enkel dieses Herrn, nicht wahr?«
Ich nickte mit dem Kopf.
»Wie hat sie das Kind verloren?«
»Sie hatte eine Blutung. Aus dem Nichts. Später trafen wir uns bei dem Begräbnis des Generals. Ich hatte von seinem Tod erfahren und bin hingegangen. Ihre Großmutter hat keine einzige Träne vergossen. Sie nahm mich zur Seite und führte mich zu Ihrer Mutter. Dort sah ich ein kleines Mädchen, ihre Tochter, das mit den anderen Kindern herumrannte, bis es hinfiel und sich das Knie aufschlug. Es war eine tiefe Wunde, die stark blutete.«
Er schloss seine Geschichte ab und deutete auf ihr Knie.
Sie zeigte ein breites Lächeln, aber dann liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
»Es tut mir aufrichtig Leid für Sie«, sagte sie, ohne ihre Emotionen zu verbergen.
»Es muss Ihnen nicht leidtun. Ich habe mich gefreut, Sie wiederzusehen. Sie sind Ihrer Mutter sehr ähnlich. Sie sind genau so
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