Fortunas Tochter
den man in diesen Breiten je erlebt hatte.
Keiner wagte sich aus dem Haus, High Gallows lag wie tot da, und über zehn Tage ließ sich kein Kunde im Schuppen sehen. Es war so kalt, daß das Wasser in den Waschschüsseln fror und fest blieb, obwohl die Öfen immer geheizt wurden, und in einigen Nächten mußten sie Elizas Pferd ins Haus holen, um es vor dem Schicksal anderer Tiere zu bewahren, die in Eisblöcken gefangen waren. Die Frauen schliefen zu zweit in einem Bett und Eliza zusammen mit dem Jungen, für den sie eine eifersüchtige, heftige Zärtlichkeit entwickelt hatte, die er mit zäher Beständigkeit erwiderte. Die einzige Person aus der Truppe, die mit Eliza um die Liebe des Jungen hätte wetteifern können, war die Bonecrusher. »Eines Tages werde ich einen Sohn so stark und tapfer wie Tom No Tribe haben, aber er muß viel fröhlicher sein. Dieses Kind lacht nie«, schrieb Eliza an Tao Chi’en.
Babalú der Böse konnte nachts nicht schlafen und ver– brachte die dunklen Stunden damit, in seinen Russen– stiefeln und seinem schäbigen Wolfspelz, eine Decke um die Schultern, im Schuppen immer von einem Ende zum andern zu wandern. Er hatte aufgehört, sich zu rasieren, und trug kurze Borsten zur Schau, die seiner abgewetzten Felljacke ähnelten. Esther hatte ihm eine gelbe Wollmütze gestrickt, die ihm bis über die Ohren reichte und in der er aussah wie ein Monsterbaby. Er war es, der an jenem Morgen das schwache Klopfen hörte, das er mit seinen guten Ohren deutlich vom Heulen des Sturmes unter– schied. Er öffnete die Tür einen Spalt, die Pistole in der Hand, und stieß auf ein Bündel, das da vor ihm im Schnee lag. Alarmiert rief er Joe heraus, und gegen den Sturm ankämpfend, damit er nicht die Tür aus den Angeln riß, gelang es beiden, den unhandlichen Fund ins Innere zu ziehen. Es war ein halb erfrorener Mann.
Es war nicht leicht, den frühen Gast aufzutauen. Während Babalú ihn abrieb und versuchte, ihm Brandy einzuflößen, weckte Joe die Frauen. Sie fachten die Glut in den Öfen an und legten Holz nach, machten Wasser heiß für den Badezuber und hoben ihn hinein, und nach und nach lebte er auf, verlor die Blaufärbung und konnte ein paar Worte sprechen. Seine Nase, die Füße und die Hände waren erfroren. Er war ein Bauer aus dem mexikanischen Bundesstaat Sonora, der wie Tausende seiner Landsleute zu den Goldlagern in Kalifornien gekommen war, sagte er. Er nannte sich Jack, ein Gringoname, der mit Sicherheit nicht sein eigener war, aber auch die übrigen in diesem Haus benutzten nicht ihre wirklichen Namen. In den folgenden Stunden stand er mehrmals an der Schwelle des Todes, aber wenn es so aussah, als könnte man nun gar nichts mehr für ihn tun, kehrte er zurück aus der anderen Welt und trank ein paar Schluck Alkohol. Gegen acht Uhr früh, als der Sturm endlich nachließ, beauftragte Joe Babalú, den Arzt zu holen. Als das der Mexikaner hörte, der unbeweglich dalag und nach Luft schnappte wie ein Fisch an Land, öffnete er die Augen und stieß ein so lautes »Nein!« aus, daß alle zusammenschraken. Niemand dürfe wissen, daß er hier sei, verlangte er mit solcher Wildheit, daß sie nicht wagten, ihm zu widersprechen.
Viele Erklärungen waren nicht nötig: es war offen– sichtlich, daß er Schwierigkeiten mit der Justiz hatte, und dieses Dorf mit dem Galgen auf dem Marktplatz war der letzte Ort auf der Welt, in dem ein Flüchtling wagen würde, Asyl zu suchen. Nur der grausame Sturm konnte ihn dazu gezwungen haben. Eliza sagte nichts, aber für sie kam die Reaktion des Mannes nicht überraschend: er roch nach Schlechtigkeit.
Um drei Uhr am Nachmittag hatte Jack seine Kräfte halbwegs wieder beisammen, aber da fiel ihm die Nasen– spitze ab, und zwei Finger einer Hand begannen abzuster– ben. Aber auch da konnten sie ihn nicht davon überzeu– gen, daß er einen Arzt brauchte; er wolle lieber allmählich verfaulen, als am Galgen zu enden. Joe Bonecrusher rief ihre Leute am andern Ende des Schuppens zusammen, wo sie flüsternd berieten und zu dem Schluß kamen: sie mußten ihm die Finger abschneiden. Alle Augen wandten sich auf Babalú den Bösen.
»Ich? Kommt nicht in die Tüte!«
»Babalú, verdammter Hundesohn, stell dich nicht an wie ein Schlappschwanz!« rief Joe wütend.
»Mach du’s, Joe, ich tauge nicht für so was.«
»Wenn du einen Hirsch zerlegen kannst, dann kannst du dies hier auch machen. Was sind schon zwei lausige Finger?«
»Ein Tier ist eine Sache und
Weitere Kostenlose Bücher