Fortunas Tochter
der Mutterader. Da kam ihm der Gedanke, jenen Joaquín zu interviewen, falls der Bursche wirklich existierte, um seine Biographie zu schreiben, und falls er eine Erfindung war, reichte das Thema für einen Roman.
Seine Arbeit als Autor würde ganz einfach darin bestehen, einen heroischen Ton anzuschlagen, um den Geschmack der breiten Masse zu treffen. Kalifornien brauchte seine eigenen Mythen und Legenden, befand Freemont, es war ein neugeborener Staat für die Nordamerikaner, die mit einem Federstrich die vorherige Geschichte der Indianer, Mexikaner und ursprünglichen Kalifornier auslöschen wollten. Für dieses Land mit den endlosen Weiten und den einsamen Männern, offenes Land für Eroberung und Vergewaltigung, was für einen besseren Helden als einen Banditen konnte es da geben? Er packte alles Nötige in einen Koffer, versah sich mit ausreichend Heften und Bleistiften und machte sich auf, seinen Mann zu suchen. Die Gefahren kamen ihm gar nicht erst in den Sinn, mit der doppelten Arroganz des Engländers und des Zeitungsmenschen glaubte er sich vor jedem Übel geschützt. Im übrigen konnte man bereits mit einer gewissen Bequemlichkeit reisen, es gab Straßen und einen regulären Kutschendienst, der die Ortschaften miteinander verband, in denen er seine Nachforschungen zu betreiben gedachte, es war nicht mehr wie früher, als er gerade mit seiner Reporterarbeit begonnen hatte und auf einem Maultierrücken sich den Weg durch die Ungewißheit von Bergen und Wäldern bahnen mußte ohne besseren Führer als ein paar schwachsinnige Karten, mit denen man ewig im Kreis laufen konnte. Während der Fahrt konnte er sehen, wieviel sich in der Region verändert hatte. Nur wenige waren durch das Gold reich geworden, aber dank der vielen tausend zugereisten Abenteurer war Kalifornien nun ein zivilisiertes Land. Ohne den Goldrausch hätte die Eroberung des Westens noch zwei Jahrhunderte auf sich warten lassen, schrieb Freemont in sein Heft.
An Stoff fehlte es ihm nicht. Da war die Geschichte jenes Goldgräbers, eines achtzehnjährigen Burschen, dem es nach einem langen, entbehrungsreichen Jahr gelang, zehntausend Dollar zusammenzubringen, die er brauchte, um nach Oklahoma zurückzukehren und für seine Eltern eine Farm zu kaufen. An einem strahlend schönen Tag stieg er von den Höhen der Sierra Nevada hinab auf Sacramento zu, den Beutel mit seinem Schatz auf dem Rücken, als ein Haufen Banditen über ihn herfielen, ob Mexikaner oder sonstige Südamerikaner, war unklar. Es stand nur mit Sicherheit fest, daß sie Spanisch sprachen, denn sie hatten die Dreistigkeit besessen, einen Zettel zu hinterlassen - mit einem Messer auf ein Stück Holz gespießt -, auf dem in dieser Sprache stand:
»Tod den Yanquis!« Sie hatten sich nicht damit begnügt, ihn zu verprügeln und zu berauben, sie hatten ihn nackt an einen Baum gebunden und mit Honig bestrichen.
Zwei Tage später, als eine Patrouille ihn fand, halluzinierte er. Die Moskitos hatten ihm die Haut so zerstochen, daß sie am ganzen Körper aufgequollen und gerissen war.
Freemont bewies sein Talent für abartige Journalistik mit dem Bericht über das tragische Ende Josefas, einer schönen Mexikanerin, die in einem Tanzsalon angestellt war. Er gelangte am Unabhängigkeitstag in das Dorf Downieville und geriet mitten hinein in die Festlichkeiten, die ein Anwärter auf den Senatorentitel leitete und durch die ein Strom von Alkohol floß. Ein Goldgräber war mit Gewalt in Josefas Zimmer eingedrungen, und sie hatte sich gegen ihn gewehrt und ihm ein Jagdmesser tief ins Herz gestoßen. Als Freemont ankam, lag die Leiche auf einem Tisch, von einer amerikanischen Fahne bedeckt, und eine von Fanatikern aufgepeitschte Menge von zweitausend Männern verlangte den Galgen für Josefa. Unbewegt in ihrer blutbefleckten weißen Bluse rauchte die Frau ihre Zigarette, als ginge das ganze Geschrei sie nichts an, und musterte die Gesichter der Männer mit abgrundtiefer Verachtung. Sie war sich der aufreizenden Mischung von Aggression und sexueller Begierde, die sie in ihnen erregte, vollauf bewußt. Ein Arzt wagte sie zu verteidigen, sie habe in Notwehr gehandelt, und wenn sie sie hinrichteten, würden sie auch das Kind in ihrem Leib töten, aber die Menge brachte ihn zum Schweigen und drohte, ihn auch zu hängen.
Zwei weitere verschreckte Ärzte wurden gezwungen, Josefa zu untersuchen, und beide meinten, sie sei nicht schwanger, woraufhin das improvisierte Gericht sie innerhalb weniger Minuten
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