Fortunas Tochter
höchst unpassend, und zu allem Überfluß hatten sie sie auch noch bemerkt und fingen an, sie »Mutter« zu nennen. Der Titel machte sie wütend, sie hatte ihn ihnen verboten, aber sie scherten sich nicht darum. »Wir haben eine rein geschäftliche Beziehung, verdammt! Damit das klar ist: Solange ihr arbeitet, habt ihr Einnahmen, Dach, Essen und Schutz, aber sobald ihr krank werdet, fallt ihr vom Fleisch oder kriegt Falten und graue Haare, und dann adiós! Nichts ist einfacher, als euch zu ersetzen, die Welt ist voll von Nutten«, knurrte sie. Und nun mit einemmal mußte dieses widerlich süße Gefühl, das sich keine Madame mit gesundem Menschenverstand leisten konnte, ihre ganze Existenz durcheinanderbringen. »In diesen Schlamassel bist du reingerutscht, weil du ein guter Mensch bist«, frotzelte Babalú der Böse. Und so war es ja auch: während sie kostbare Zeit damit verschwendet hatte, Kranke zu pflegen, die sie nicht einmal dem Namen nach kannte, hatte die andere Puffmutter des Dorfes niemanden mit der Seuche in die Nähe ihres Lokals kommen lassen. Joe mußte immer tiefer in ihren Sparstrumpf gucken, während die andere fett geworden war, sich die Haare rot färbte und sich einen um zehn Jahre jüngeren russischen Geliebten genommen hatte mit Athletenmuskeln und einem Diamanten, der in einen Zahn eingelegt war; sie hatte ihr Geschäft erweitert, und an den Wochenenden standen die Goldgräber Schlange vor ihrer Tür, das Geld in der einen Hand und den Hut in der andern, denn keine Frau, so tief sie auch gefallen sein mochte, duldete einen Hut auf einem Männerkopf. Ein für allemal: es gab keine Zukunft in diesem Beruf, behauptete Joe: das Gesetz schützte sie nicht, Gott hatte sie vergessen, und vor sich sah sie nur Alter, Armut und Einsamkeit. Ihr kam der Gedanke, sich der Wäscherei und dem Kuchenbacken zuzuwenden, dabei aber das Geschäft mit den Spieltischen und den unanständigen Büchern nicht aufzugeben, aber ihre Mädchen waren nicht bereit, sich ihr Brot mit so grober Handarbeit zu verdienen.
»Dies ist ein Scheißgeschäft, Kinder. Heiratet, studiert, macht was aus eurem Leben und laßt mich in Frieden«, seufzte sie betrübt.
Auch Babalú hatte es satt, den Zuhälter und Leibwächter zu spielen. Das seßhafte Leben langweilte ihn, und die Bonecrusher hatte sich so verändert, daß es wenig Sinn hatte, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten. Wenn sie die Lust an dem Beruf verloren hatte, was blieb dann für ihn? In verdrossenen Augenblicken vertraute er sich dem Chilenito an, und die beiden unterhielten sich damit, phantastische Pläne zu entwerfen, wie sie sich selbständig machen könnten: sie würden eine Wanderschau auf die Beine stellen, sich einen Bären kaufen, ihn im Boxen trainieren und dann von Dorf zu Dorf ziehen und die Großmäuler herausfordern, einen Faustkampf mit dem Tier auszutragen. Babalú war auf das Abenteuer aus, und Eliza dachte, das wäre ein guter Vorwand, um in Begleitung auf die Suche nach Joaquín zu gehen. Außer Kochen und Klavierspielen hatte sie nicht viel zu tun bei der Bonecrusher, der Müßiggang machte auch sie übellaunig. Sie wollte die unendliche Freiheit der Straße wieder erleben, aber sie hatte diese Menschen liebgewonnen, und die Vorstellung, sich von Tom No Tribe zu trennen, brach ihr fast das Herz. Der Junge las bereits fließend und übte fleißig schreiben, denn Eliza hatte ihn überzeugt, wenn er erwachsen sein würde, müsse er studieren und Anwalt werden, um die Rechte der Indianer zu verteidigen, statt die Toten mit Kugeln zu rächen, wie Joe es vorhatte. »So wirst du ein viel mächtigerer Krieger sein, und die Gringos werden Angst vor dir haben«, sagte Eliza. Lachen konnte er noch nicht, aber ein paarmal, wenn er sich neben sie setzte, damit sie ihm den Kopf kraulte, malte sich der Anflug eines Lächelns auf seinem zornigen Indianergesicht.
Tao Chi’en erschien an einem Mittwoch im Dezember um drei Uhr nachmittags in Joe Bonecrushers Haus.
Tom No Tribe öffnete ihm die Tür, ließ ihn in das Spielzimmer treten, das um diese Zeit leer war, und ging die Täubchen rufen. Kurz darauf kam die schöne Mexikanerin in die Küche, wo der Chilenito beim Brotbacken war, und verkündete, ein Chinese habe nach Elias Andieta gefragt, aber Eliza war so in ihre Arbeit und in die Träume der vergangenen Nacht vertieft, in denen sich Spieltische mit ausgestochenen Augen mischten, daß sie nicht hinhörte.
»Ich sag dir doch, ein Chinese wartet auf dich«,
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