Fortunas Tochter
wiederholte die Mexikanerin, und da tat Elizas Herz einen Maultiertritt in ihrer Brust.
»Tao!« schrie sie und rannte hinaus.
Aber als sie in das Zimmer trat, sah sie einen so veränderten Mann vor sich, daß sie einige Sekunden zögerte, bis sie ihren Freund erkannte. Er hatte seinen Zopf nicht mehr, seine Haare waren kurz geschnitten, pomadisiert und nach hinten gekämmt, er trug eine Brille mit runden Gläsern und Metallrahmen, einen dunklen Gehrock, eine Weste mit drei Knöpfen und enge Hosen. Über dem einen Arm hing ihm ein Mantel und ein Regenschirm, in der anderen Hand hielt er einen Zylinderhut.
»Mein Gott, Tao! Was ist denn mit dir passiert?«
»In Amerika kleide dich wie die Amerikaner«, sagte er lächelnd.
In San Francisco hatten ihn drei Schlägertypen überfallen, und ehe er sein Messer aus dem Gürtel ziehen konnte, hatten sie ihn mit einem Knüppelhieb betäubt aus purem Spaß, sich auf Kosten eines »Gelben« zu vergnügen. Als er wieder zu sich kam, fand er sich in der Gosse liegend, mit Unrat beschmiert, sein Zopf war roh abgeschnitten und ihm um den Hals geschlungen. Worauf er beschloß, das Haar künftig kurz zu tragen und sich zu kleiden wie die fan gui. Seine neue Erscheinung fiel auf in der Menge im Chinesenviertel, aber außerhalb wurde er nun wesentlich freundlicher aufgenommen, und ihm öffneten sich Türen zu Orten, die zu betreten ihm früher verwehrt war. Er war in der Stadt vielleicht der einzige Chinese mit diesem Aussehen. Der Zopf wurde als unantastbar angesehen, und der Entschluß, ihn abzuschneiden, bewies den Vorsatz, nicht nach China zurückzukehren, sondern sich fest in Amerika niederzulassen, ein unverzeihlicher Verrat am Kaiser, dem Vaterland und den Ahnen. Doch seine Kleidung und seine Frisur erregten auch eine gewisse Verwunderung, denn sie deuteten an, daß er Zugang zur Welt der Amerikaner hatte.
Eliza konnte die Augen nicht von ihm lassen: er war ein Unbekannter, mit dem sie sich erst wieder gründlich vertraut machen mußte. Tao Chi’en verneigte sich mehrmals zu seinem gewohnten Gruß, und sie traute sich nicht, dem Impuls zu folgen, der ihr auf der Haut brannte, und ihn zu umarmen. Sie hatte viele Male Seite an Seite mit ihm geschlafen, aber niemals hatten sie sich berührt ohne den Schlaf als Entschuldigung.
»Ich glaube, du hast mir besser gefallen, als du noch von oben bis unten Chinese warst, Tao. Laß mich dich riechen«, bat sie.
Betroffen hielt er still, während sie an ihm schnupperte wie ein Hund an seiner Beute und endlich den zarten Hauch nach Meer wiedererkannte, diesen tröstlichen Geruch aus der Vergangenheit. Mit dem kurzen Haar und dem strengen Anzug sah er größer aus und hatte die jugendlich schlaksige Haltung verloren. Er war dünner geworden und erschien jetzt größer, und in seinem glatten Gesicht zeichneten sich die Backenknochen ab.
Eliza betrachtete mit Vergnügen seinen Mund, sie erinnerte sich genau an sein ansteckendes Lächeln und seine tadellosen Zähne, aber nicht an die sinnliche Form seiner Lippen. Sie bemerkte etwas Schwermütiges in seinem Blick, aber sie dachte, das sei die Wirkung der Brille.
»Wie gut das tut, dich zu sehen, Tao!«, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Ich konnte nicht früher kommen, ich wußte ja nicht, wo du steckst.«
»Besser spät als nie. Du siehst aus wie ein Totengräber, aber wie ein hübscher.«
»Damit befasse ich mich jetzt auch, mit Totengräberei«, sagte er lächelnd. »Als ich erfuhr, daß du an diesem Ort lebst, dachte ich, Azucena Placeres’ Voraussagen hätten sich erfüllt. Sie hat immer gesagt, früher oder später würdest du enden wie sie.«
»Ich habe dir doch in dem Brief erklärt, daß ich mir mit Klavierspielen mein Brot verdiene!«
»Unglaublich!«
»Warum? Du hast mich nie spielen hören, so schlecht spiele ich nicht. Und wenn ich als taubstummer Chinese durchgehen kann, kann ich es auch als chilenischer Pianist.«
Tao Chi’en lachte zu seiner eigenen Verwunderung, es war das erste Mal seit Monaten, daß ihm froh zumute war.
»Hast du deinen Liebsten gefunden?«
»Nein. Ich weiß schon nicht mehr, wo ich ihn suchen soll.«
»Vielleicht verdient er es gar nicht, daß du ihn findest. Komm mit mir nach San Francisco.«
»Ich wüßte nicht, was ich in San Francisco tun sollte…«
»Und hier? Der Winter ist schon da, in ein paar Wochen werden die Wege unpassierbar sein und dieses Dorf von allem abgeschnitten.«
»Es ist ziemlich langweilig, dein
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