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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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geführt, zu Pferde und mit verbundenen Augen, identifizieren konnte er sie nicht, aber sie hatten Spanisch gesprochen.
    Dieselbe eifrige Beredsamkeit, mit der er vor Jahren in Chile das Leben patagonischer Indios auf Feuerland schilderte, wohin er nie den Fuß gesetzt hatte, diente ihm jetzt dazu, einen imaginären Banditen aus dem Ärmel zu schütteln. Er hatte sich in den Kerl verliebt und war schließlich überzeugt, daß er ihn kannte, daß die heimlichen Treffen in den Felsenhöhlen Wirklichkeit waren und daß der Flüchtige ihm persönlich die Mission aufgetragen hatte, über seine Großtaten zu berichten, denn Murieta betrachte sich als Rächer der unterdrückten Hispanos, und jemand müsse die Aufgabe übernehmen, ihm und seiner Sache in der sich entwickelnden Ge– schichte Kaliforniens den gebührenden Platz zuzuweisen. Von ordentlichem Journalismus hatte das wenig, aber von Literatur genug für den Roman, den Jacob Freemont in diesem Winter zu schreiben gedachte.
    Als Tao Chi’en ein Jahr zuvor nach San Francisco zurückgekehrt war, hatte er sich bemüht, die nötigen Ver– bindungen herzustellen, um ein paar Monate seinen Beruf als zhong yi ausüben zu können. Er hatte ein wenig Geld, aber er gedachte es rasch zu verdreifachen. In Sacramento zählte die chinesische Gemeinde etwa siebenhundert Männer und neun oder zehn Prostituierte, hier dagegen gab es Tausende möglicher Patienten. Außerdem über– querten so viele Schiffe ständig den Ozean, daß er seine Kräuter und Medikamente ohne Schwierigkeit in Kanton bestellen konnte. Hier in San Francisco würde er nicht so abgeschnitten sein wie in Sacramento, hier praktizierten mehrere chinesische Ärzte, mit denen er Patienten und Kenntnisse austauschen konnte. Er hatte nicht vor, eine eigene Praxis aufzumachen, denn es galt ja zu sparen, aber er konnte sich mit einem anderen, bereits niedergelassenen zhong yi zusammentun. Als er in einem Hotel abgestiegen war, ging er aus, sich das Viertel anzusehen, das nach allen Richtungen gewachsen war wie ein Krake, der seine Tentakel ausstreckt. Jetzt war es eine richtige kleine Stadt mit festen Häusern, Hotels, Restaurants, Wäschereien, Opiumhöhlen, Bordellen, Märkten und Fabriken. Wo früher nur Ramschware verhökert worden war, standen jetzt Geschäfte mit orientalischen Antiquitäten, Porzellan– gegenständen, Emaillearbeiten, Schmuck, Seiden und Elfenbeinschnitzereien. Hierher kamen die reichen Kauf– leute, nicht nur die chinesischen, auch Amerikaner, die kauften, um in anderen Städten wieder zu verkaufen. Die Waren wurden in buntem Durcheinander ausgestellt, aber die besten Stücke, jene, die eines Kenners und Sammlers würdig waren, wurden nicht jedem Blick preisgegeben, die sahen nur die seriösen Kunden. In geheimen Hinter– zimmern einiger Lokale waren Spielhöllen eingerichtet, wo wagemutige Glücksspieler sich ein Stelldichein gaben. An diesen Tischen fern von der Neugier des Publikums und dem Auge der Obrigkeit wurde um ungeheure Sum– men gewettet, wurden schmutzige Geschäfte abgewickelt und wurde Macht ausgeübt. Die amerikanischen Behörden überwachten die Chinesen nicht systematisch, da sie in ihrer eigenen Welt lebten, mit ihrer Sprache, ihren Sitten und ihren uralten Gesetzen. Die »Gelben« waren nirgends gern gesehen, die Gringos betrachteten sie als die niederträchtigsten unter den unerwünschten Fremden, die Kalifornien überfluteten, und verziehen ihnen nicht, daß sie gut vorankamen. Sie beuteten sie aus, soviel sie konnten, überfielen sie auf der Straße, raubten sie aus, zündeten ihre Geschäfte und Häuser an, ermordeten sie, ohne Strafe fürchten zu müssen, aber nichts konnte diese Asiaten einschüchtern.
    Es gab fünf Tongs, die sich auf die Bevölkerung verteil– ten; jeder Chinese, der einreiste, ließ sich in eine dieser Bruderschaften aufnehmen, die einzige Gewähr, daß er eine Arbeit erhielt und daß bei seinem Tod sein Leichnam nach China heimgebracht wurde. Tao Chi’en, der es bisher vermieden hatte, sich einem Tong anzuschließen, mußte es jetzt tun, und er wählte den mitgliederstärksten, dem die Mehrheit der Kantonesen angehörte.
    Die brachten ihn bald in Kontakt mit anderen zhong yi und enthüllten ihm die Regeln des Spiels. Allem voran standen Schweigen und Loyalität: was im Viertel geschah, blieb auf seine Straßen beschränkt. Keinesfalls wurde die Polizei in Anspruch genommen, nicht einmal, wenn es um Leben oder Tod ging; Konflikte wurden

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