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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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innerhalb der Gemeinde gelöst, dafür waren die Tongs da. Der gemeinsame Feind war immer der fan gui. Tao Chi’en sah sich wieder wie in Kanton als Gefangener der Sitten, der Hierarchien und der Restriktionen. Nach zwei Tagen gab es niemanden mehr, der seinen Namen nicht kannte, und es kamen mehr Patienten, als er behandeln konnte. Er mußte sich keinem anderen zhong yi anschließen, entschied er da, er konnte seine eigene Praxis aufmachen und in weniger Zeit mehr Geld einnehmen, als er sich vorgestellt hatte. Er mietete zwei Zimmer über einem Restaurant, eins zum Wohnen und das andere zum Arbeiten, hängte ein Schild ans Fenster und stellte einen jungen Gehilfen an, der seine Dienste mit einem Handzettel öffentlich bekanntmachen und die Patienten empfangen sollte. Zum erstenmal wendete er die Methode von Doktor Ebanizer Hobbs an, den Krankengeschichten der Patienten nachzuspüren. Bisher hatte er sich auf sein Gedächtnis und seine Intuition verlassen, aber angesichts der wachsenden Patientenzahl legte er eine Kartei an, um die Behandlung jedes einzelnen festzuhalten.
    An einem Nachmittag im Spätsommer kam sein Gehilfe mit einem Blatt Papier herein, auf dem eine Adresse angegeben war mit der Bitte, so bald als möglich dorthin zu kommen. Er schickte seine Patienten für diesen Tag nach Hause und machte sich auf den Weg. Das zweistöckige hölzerne Gebäude, das mit Papierdrachen und Lampions geschmückt war, stand mitten im Viertel.
    Ohne zweimal hinzusehen, erkannte er, daß es ein Bordell war. Zu beiden Seiten der Tür waren vergitterte Fenster, hinter denen sich kindliche Gesichter zeigten, Mädchen, die auf kantonesisch riefen: »Kommen Sie herein und tun Sie, was Sie wollen mit sehr hübschen kleinen Chinesenmädchen.« Und dann wiederholten sie es in einem unmöglichen Englisch für weiße Besucher und Matrosen aller Rassen: »Zwei für Sehen, vier für Anfassen, sechs für Machen«, worauf sie ein paar kümmerliche Brüstchen vorzeigten und die Passanten mit obszönen Bewegungen anzulocken versuchten, die bei diesen jungen Geschöpfen nur eine tragische Pantomime waren. Tao Chi’en hatte sie schon viele Male gesehen, er ging täglich durch diese Straße, und der Singsang der »Sing Song Girls« verfolgte ihn und erinnerte ihn an seine Schwester. Was mochte aus ihr geworden sein? Sie wäre jetzt dreiundzwanzig, gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, daß sie noch am Leben war. Die ärmsten unter den armen Prostituierten fingen frühzeitig an und erreichten selten das achtzehnte Lebensjahr; mit zwanzig, wenn sie das Pech gehabt hatten zu überleben, waren sie schon alte Frauen. Die Erinnerung an diese verlorengegangene Schwester hinderte ihn, die chinesischen Bordelle aufzusuchen; wenn das Verlangen ihm keine Ruhe ließ, nahm er sich Frauen von anderer Rasse.
    Eine finstere Alte mit schwarzgefärbten Haaren und zwei Kohlestrichen auf den Augenbrauen öffnete ihm die Tür und begrüßte ihn auf kantonesisch. Als geklärt war, daß er der Arzt war, führte sie ihn ins Innere. Den übelriechenden Gang entlang sah er die offenen Kammern der Mädchen, einige waren mit Ketten um die Knöchel ans Bett gefesselt. Im Halbdunkel begegnete er zwei Männern, die ihn grüßten, während sie sich die Hosen zuknöpften. Die Frau führte ihn durch ein Labyrinth von Korridoren, Treppen und Hinterhöfen, es schien, als wanderten sie durch den ganzen Häuserblock, schließlich stiegen sie einige morsche Stufen hinab in die Dunkelheit. Sie bedeutete ihm, zu warten, und eine ganze Weile, die ihm unendlich lange vorkam, stand er in der Schwärze dieses Loches und lauschte auf die gedämpften Geräusche der nahen Straße. Er hörte ein schwaches Pfeifen, und etwas streifte seinen Knöchel, er trat zu und glaubte, ein Tier getroffen zu haben, wahrscheinlich eine Ratte. Die Alte kam mit einer Kerze zurück und führte ihn durch weitere verwinkelte Gänge bis zu einer Tür, die mit einem Vorhängeschloß versehen war. Sie zog den Schlüssel aus der Tasche und kämpfte mit dem Schloß, bis sie es geöffnet hatte. Eine Welle von Gestank schlug ihnen entgegen, sie mußten sich Nase und Mund zuhalten, um eintreten zu können.
    Auf der Pritsche lag ein kleiner zusammengekrümmter Körper neben einem leeren Becher und einer erloschenen Öllampe.
    »Untersuchen Sie sie«, befahl die Frau.
    Tao Chi’en drehte den Körper herum und stellte fest, daß er bereits erstarrt war. Es war ein Mädchen von etwa dreizehn Jahren mit Rougeflecken auf

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