Fortunas Tochter
Einige wurden an die Bordelle besserer Kategorie oder an die Harems der Reichen verkauft; die Kräftigsten pflegten in den Besitz von chine– sischen Fabrikanten, Goldgräbern oder Wäschereibesitz– ern zu gelangen, für die sie den Rest ihres kurzen Lebens arbeiten würden; die meisten blieben in den Gelassen des chinesischen Viertels. Die Aufseherinnen brachten ihnen die Regeln des Gewerbes bei: Sie mußten lernen, Gold von Bronze zu unterscheiden, damit sie beim Kassieren nicht betrogen wurden, sie mußten die Kunden anlocken und ihnen zu Willen sein, ohne sich zu beklagen, so demütigend oder schmerzhaft auch ihre Forderungen sein mochten. Um dem Kauf einen Anschein von Legalität zu geben, mußten sie einen Vertrag unterschreiben, den sie nicht lesen konnten und nach dem sie sich für fünf Jahre verkauften, aber er war so schlau durchdacht, daß sie nie frei werden konnten. Für jeden Tag Krankheit wurden ihnen zwei Wochen auf ihre Dienstzeit aufgeschlagen, und wenn sie zu fliehen versuchten, wurden sie für immer Sklavinnen.
Sie lebten eingepfercht in Verschlagen ohne Lüftung, die durch dicke Vorhänge abgeteilt waren, und plagten sich ab wie Galeerensträflinge, bis sie starben.
An jenem Morgen ging Tao Chi’en, begleitet von den Geistern Lins und seines Akupunkturmeisters, zu dem Bordell, das er am Tag zuvor kennengelernt hatte. Ein junges Mädchen, nur mit einem Hemd bekleidet, führte ihn durch einen Vorhang in ein Gelaß, in dem ein schmutziger Bettsack lag, streckte die Hand aus und sagte, erst müsse er bezahlen. Sie bekam ihre sechs Dollar, legte sich auf den Rücken und spreizte die Beine, den Blick auf die Zimmerdecke gerichtet. Sie hatte tote Augen und atmete mühsam; er begriff, daß sie unter Drogen stand. Er setzte sich neben sie, zog ihr das Hemd glatt und wollte ihr den Kopf streicheln, aber sie stieß einen Schrei aus, krümmte sich zusammen und zeigte die Zähne, als wolle sie ihn beißen. Tao Chi’en wich zurück, dann sprach er lange auf kantonesisch zu ihr, ohne sie zu berühren, bis der gleichmäßige Klang seiner Stimme sie beruhigte, während er die neuesten Quetschungen an ihrem Körper untersuchte. Endlich begann sie auf seine Fragen zu antworten, freilich mit mehr Gesten als Worten, als hätte sie den Gebrauch der Sprache verlernt, und dadurch erfuhr er einige Einzelheiten ihrer Gefangenschaft. Sie konnte ihm nicht sagen, seit wann sie schon hier war, und es zu schätzen wäre sinnlose Mühe gewesen, aber lange war es wohl nicht, denn sie erinnerte sich noch an ihre Familie in China mit kläglicher, mitleiderregender Genauigkeit.
Als Tao Chi’en annahm, daß die ihm hinter dem Vorhang zustehenden Minuten verstrichen waren, zog er sich zurück. An der Tür wartete dieselbe Alte, die ihn am Abend zuvor eingelassen hatte, aber sie gab durch nichts zu verstehen, daß sie ihn erkannte. Von dort wanderte er durch Kneipen, Spielsäle und Opiumhöhlen und stellte Fragen, und zuletzt suchte er andere Ärzte des Viertels auf, bis er nach und nach die Stücke dieses Puzzles zusammensetzen konnte. Wenn die kleinen Sing Song Girls zu krank waren, ihren Dienst zu versehen, brachte man sie ins »Hospital«, wie sie die geheimen Kammern nannten, von denen er eine in der vergangenen Nacht kennengelernt hatte, und hier ließen sie sie allein mit einem Glas Wasser, ein wenig Reis und einer Lampe, deren Öl für ein paar Stunden reichte. Die Tür öffnete sich einige Tage später, wenn sie hereinkamen und den Tod feststellten. Fanden sie sie lebend, halfen sie mit Gift nach: keine sah das Sonnenlicht wieder. Sie hatten Tao Chi’en gerufen, weil sie den zhong yi, der für gewöhnlich den Totenschein ausstellte, nicht angetroffen hatten.
Den Gedanken, den Mädchen zu helfen, habe nicht er gehabt, wie er einige Monate später Eliza erklärte, sondern Lin und sein Akupunkturlehrer.
»Kalifornien ist ein freier Staat, Tao, hier gibt es keine Sklaven. Wende dich an die amerikanischen Behörden.«
»Die Freiheit gilt nicht für alle. Die Amerikaner sind blind und taub, Eliza. Diese Kinder beachtet niemand weiter, wie die Irren, die Bettler und die Hunde.«
»Und die Chinesen kümmert es auch nicht?«
»Einige ja, zum Beispiel mich, aber keiner ist bereit, sein Leben zu riskieren und die Verbrecherorganisationen herauszufordern. Die Mehrheit sieht das so: Wenn das jahrhundertelang in China praktiziert worden ist, gibt es keinen Grund, zu kritisieren, was hier geschieht.«
»Was für grausame
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