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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Menge sich auflöste, vielleicht würde Mama Fresia sie dann finden.
    Da fiel ihr Blick auf einen hochgewachsenen Rotschopf, der sich an das Denkmal des Platzes klammerte, und erkannte den Kranken, den ihre Nana und sie gepflegt hatten. Ohne Zögern drängte sie sich zu ihm durch.
    »Was tust du hier? Bist du verletzt?« rief der Mann von oben.
    »Ich bin verlorengegangen, können Sie mich nach Hause bringen?«
    Jacob Todd stieg herab, wischte ihr das Gesicht mit seinem Taschentuch ab, musterte sie kurz und stellte fest, daß sie keinen sichtbaren Schaden davongetragen hatte.
    Er schloß daraus, daß das Blut wohl von den Flagellanten stammte.
    »Ich werde dich ins Kontor zu Mr. Sommers bringen.« Aber sie bat ihn, das ja nicht zu tun, denn wenn der Hausherr erführe, daß sie bei der Prozession gewesen war, würde er Mama Fresia entlassen. Todd ging also eine Mietkutsche suchen, die unter diesen Umständen nicht leicht zu finden war, während die Kleine schweigend neben ihm trottete und seine Hand keinen Augenblick losließ. Der Engländer verspürte zum erstenmal in seinem Leben einen Schauer der Zärtlichkeit für eine Kinderhand, für die kleine, feuchte Hand, die sich an seine klammerte. Von Zeit zu Zeit betrachtete er Miss Roses Ziehtochter verstohlen und war gerührt von diesem Kindergesicht mit den schwarzen mandelförmigen Augen. Endlich stießen sie auf einen von zwei Maultieren gezogenen Karren, und der Kutscher willigte ein, sie hügelan zu fahren, für das Doppelte des üblichen Preises. Sie legten die Fahrt schweigend zurück, und eine Stunde später setzte Todd die Kleine vor dem Sommersschen Hause ab. Sie verabschiedete sich mit einem Knicks, lud ihn aber nicht ein, hereinzukommen. Er sah ihr nach, wie sie davonging, klein und zart, bis zu den Füßen von dem schwarzen Umhang verhüllt. Plötzlich blieb sie stehen, wandte sich um, kam zurückgelaufen, warf ihm die Arme um den Hals und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. »Danke«, sagte sie, »noch mal danke!« Jacob Todd kehrte im selben Karren zurück zu seinem Hotel. Von Zeit zu Zeit berührte er seine Wange, überrascht von der süßen und traurigen Empfindung, die dieses kleine Mädchen ihm einflößte.
    Mochten die Prozessionen in ihrer aufgeschaukelten Frömmigkeit einen Zweck schon in sich selbst haben, so brachten sie es aber auch fertig, wie Jacob Todd staunend sehen konnte, den Regen abzustellen, und rechtfertigten somit einmal mehr den strahlenden Ruhm des Christus von Mayo. In weniger als achtundvierzig Stunden klarte der Himmel auf, und eine schüchterne Sonne schien auf all den Jammer herab. Der Unwetter und der Epidemien wegen waren geschlagene neun Wochen vergangen, ehe sich die Mittwochsgesellschaften im Hause Sommers wieder zusammenfanden, und noch ein paar mehr, ehe Jacob Todd sich getraute, Miss Rose seine Gefühle zu offenbaren. Als er es endlich schaffte, tat sie, als hätte sie es nicht gehört, aber da er beharrlich blieb, bekam er eine verblüffende Antwort.
    »Das einzig Gute am Heiraten ist das Witwe-Werden«, sagte sie.
    »Ein Ehemann, und mag er noch so vertrottelt sein, steht jeder Frau gut«, gab er zurück, ohne gekränkt zu sein.
    »Das kümmert mich nicht. Ein Ehemann wäre nichts als lästig, und er könnte mir nichts geben, was ich nicht schon hätte.«
    »Kinder vielleicht?«
    »Aber was glauben Sie eigentlich, wie alt ich bin, Mr. Todd?«
    »Nicht älter als siebzehn.«
    »Machen Sie sich nur lustig. Zum Glück habe ich Eliza.«
    »Ich bin ein Starrkopf, Miss Rose, ich gebe mich nie geschlagen.«
    »Ich danke Ihnen, Mr. Todd. Nicht der Ehemann ist es, der einer Frau gut steht, sondern viele Bewerber.«
    Jedenfalls war Rose der Grund, weshalb Jacob Todd sehr viel länger in Chile blieb als die wenigen Monate, die er sich für den Verkauf seiner Bibeln vorgenommen hatte.
    Die Sommers waren für ihn der perfekte gesellschaftliche Kontakt, durch sie öffneten sich ihm sperrangelweit die Türen der wohlhabenden ausländischen Kolonie, die bereit war, ihn bei der vermeintlichen frommen Mission auf Feuerland zu unterstützen. Er beschloß, sich einige Kenntnisse über die patagonischen Indios anzueignen, aber nach einem müden Blick in ein paar alte Schwarten, die er aufstöbern konnte, begriff er, daß es gleich war, ob er nun etwas darüber wußte oder nicht, denn die Ahnungslosigkeit in dieser Hinsicht war unter den Bewohnern der Kolonie allgemein. Es genügte, das zu sagen, was die Leute hören wollten, und für

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