Fortunas Tochter
Wind das Mädchen mitriß und über das Meer zum Horizont davontrug. Sie gab ihr alle möglichen Mixturen ein, verbunden mit Beschwörungen aus ihrem umfassenden Repertoire, und als sie begriff, daß nichts fruchten wollte, suchte sie Hilfe bei den katholischen Heiligen. Der Tiefe ihres Koffers entnahm sie einige Münzen von ihren kümmerlichen Ersparnissen, kaufte zwölf Kerzen und machte sich auf, mit dem Pfarrer zu verhandeln. Nachdem sie die Kerzen im sonntäglichen Hochamt hatte segnen lassen, entzündete sie vor jedem Heiligen in den Seitenkapellen der Kirche eine, im ganzen acht, und stellte drei vor dem Bildnis des heiligen Antonius auf, des Beschützers der ledigen Mädchen ohne Hoffnung, der untreuen Ehefrauen und anderer verlorener Fälle. Die letzte nahm sie zusammen mit einer Haarsträhne und einem Hemd von Eliza mit zu der weit und breit angesehensten Machi.
Das war eine alte, von Geburt an blinde Mapuche, Zauberin der weißen Magie, berühmt für ihre unanfecht– baren Weissagungen und ihr gutes Urteil, wenn es galt, Krankheiten des Körpers und Leiden der Seele zu heilen. Mama Fresia hatte ihre Jugendjahre als Lehrling und Dienerin bei dieser Frau verbracht, aber sie konnte nicht in ihre Fußstapfen treten, so heiß sie es sich auch wünschte, weil sie die Gabe nicht hatte. Da war nichts zu machen: entweder man wird mit der Gabe geboren, oder man wird ohne sie geboren. Sie hatte einmal versucht, es Eliza zu erklären, aber ihr fiel einzig dieses ein: die Gabe sei die Fähigkeit, zu sehen, was hinter den Spiegeln ist. Da sie selbst das geheimnisvolle Talent nicht besaß, mußte Mama Fresia ihrem Ehrgeiz, eine Heilerin zu werden, entsagen und bei den Engländern in Dienst gehen.
Die Machi lebte allein in einer Schlucht zwischen zwei Hügeln in einer Lehmhütte mit Strohdach, die aussah, als könnte sie jeden Augenblick zusammenfallen. Rings um ihre Behausung lagen Felstrümmer und Baumstämme in wirrem Übereinander, in Blechbüchsen wucherten Pflanzen, dazwischen scharrten und kratzten knochendürre Hunde und große schwarze Vögel vergeblich den Boden nach etwas Eßbarem auf. Auf dem Weg zur Hütte erhob sich ein kleiner Hain aus Stöcken, behängt mit Geschen– ken und Amuletten und aufgepflanzt von zufriedenen Kunden, die damit für erwiesene Hilfe danken wollten. Die alte Frau roch nach allen Heiltränken und Tinkturen und Balsamen, die sie in ihrem Leben zubereitet hatte, sie trug einen Umhang von derselben undefinierbaren Farbe wie der trockene Boden der Landschaft, ihre bloßen Füße waren schmutzig, aber sie war geschmückt mit einer Unzahl Halsketten aus Silbermünzen. Ihr Gesicht war eine verrunzelte dunkle Maske, sie hatte nur noch zwei Zähne im Mund, ihre Augen waren erloschen. Sie empfing ihre ehemalige Schülerin ohne ein Zeichen des Erkennens, nahm die Geschenke, Speisen und eine Flasche Anislikör, entgegen, machte ihr ein Zeichen, sich ihr gegenüber– zusetzen, und wartete schweigend. In der Mitte der Hütte glosten ein paar Holzscheite, und der Rauch zog durch ein Loch im Dach ab. An den rußschwarzen Wänden hingen Töpfe aus Ton und Messing, getrocknete Pflanzen und allerlei ausgestopftes Kleingetier. Der schwere Geruch von Kräutern und Heilrinden mischte sich mit dem Gestank toter Tiere. Sie redeten in Mapudungo, der Sprache der Mapuche. Lange lauschte die Magierin der Geschichte Elizas, von ihrer Ankunft im Marseiller Seifenkarton bis zu der jüngst eingetretenen Krise, dann nahm sie die Kerze, die Haarsträhne und das Hemd und verabschiedete die Besucherin mit der Weisung, zurück– zukehren, wenn sie ihre Zauber und Wahrsageriten vollendet haben würde.
»Es steht fest, daß es dafür keine Heilung gibt«, verkündete sie zwei Tage später, als Mama Fresia eben über die Schwelle der Hütte trat.
»Wird meine Kleine etwa sterben?«
»Darüber kann ich nichts sagen, aber sie wird viel leiden müssen, da habe ich keinen Zweifel.«
»Was fehlt ihr denn?«
»Versessenheit in der Liebe. Das ist ein sehr beständiges Leiden. Sicherlich hat sie einmal in einer klaren Nacht das Fenster offenstehen lassen, und es ist ihr, während sie schlief, in den Körper gelangt. Dagegen gibt es keine Beschwörung.«
Mama Fresia ging betrübt nach Hause: wenn die Kunst dieser weisen Machi nicht ausreichte, Elizas Schicksal zu wenden, wieviel weniger konnten dann ihre schwachen Kenntnisse oder die Kerzen der Heiligen nützen.
Miss Rose
Miss Rose beobachtete Eliza mit mehr Neugier als
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