Fortunas Tochter
ihr Vater sie für eine goldene Uhr verkauft hatte, den letzten Besitz des verarmten Adligen. Eines Morgens, als sie wieder einmal durch das Guckloch spähte, nahm ihr Vater den großen Schlüsselbund vom Gürtel, schloß die Tür auf und stieß das Mädchen in die Zelle, wie man einem Löwen Futter hinwirft. Was dort geschah, blieb ihr immer im irrealen Licht eines wüsten Traums, aber jedenfalls harrte sie bei Sade aus, folgte ihm aus dem Kerker in das schlimmere Elend der Freiheit und lernte alles, was er sie lehren konnte. Als der Marquis 1801 in die Irrenanstalt von Charenton gesperrt wurde, stand sie auf der Straße, ohne einen Franc, aber im Besitz umfassender Kenntnisse des Liebesspiels, die ihr zu einem zweiundfünfzig Jahre älteren und sehr reichen Ehemann verhalfen. Der Mann starb schon nach kurzem Eheleben, ausgehöhlt von den Exzessen seiner jungen Frau, und sie war endlich nicht nur frei, sondern hatte auch genügend Geld, um zu tun, wozu sie Lust hatte. Sie war vierunddreißig Jahre alt, hatte die Lehrzeit bei dem Marquis überlebt, Armut und Hunger ihrer Jugend, die Wirren der französischen Revolution, den Schrecken der napoleonischen Kriege, und nun mußte sie die diktatorischen Härten des Empire ertragen. Sie hatte es satt, und ihr Geist verlangte nach Ruhe. Sie beschloß, sich einen sicheren Ort zu suchen, wo sie den Rest ihrer Tage in Frieden verbringen konnte, und entschied sich für Wien. Dort lernte sie Karl Bretzner kennen, den Sohn ihrer Nachbarn, ein Kind von kaum zehn Jahren, aber er sang damals schon im Kirchenchor wie eine Nachtigall.
Ihr, Freundin und Vertraute der Familie Bretzner, hatte der Kleine es zu verdanken, daß er in jenem Jahr nicht kastriert wurde, um seine Cherubstimme zu erhalten, wie der Kantor vorgeschlagen hatte.
»Rührt ihn nicht an, und in kurzer Zeit wird er der strahlendste Tenor Europas sein«, prophezeite die schöne Nachbarin. Sie irrte sich nicht.
Trotz des riesigen Altersunterschiedes wuchs zwischen ihr und dem kleinen Karl eine ungewöhnliche Beziehung. Sie bewunderte seine Reinheit der Gefühle und die Hingabe an die Musik; er hatte in ihr die Muse gefunden, die ihm nicht nur die Männlichkeit gerettet hatte, sondern ihn auch lehrte, sie zu gebrauchen. In der Zeit, in der er endgültig die Stimme wechselte und anfing, sich zu rasieren, hatte er die sprichwörtliche Geschicklichkeit ehemaliger Sängerknaben entwickelt, eine Frau in Formen zu befriedigen, von denen wackere Ehemänner nur träumen. Bei Rose Sommers ging er es sanft an. Kein feuriger Angriff in einem Wirbel allzu gewagter Liebkosungen, denn hier verbot es sich, mit Tricks aus dem Serail zu schocken, entschied er, ohne zu ahnen, daß seine Schülerin ihn in weniger als drei einprägsamen Lektionen an Erfindungsgabe übertreffen würde. Er pflegte die Einzelheiten sehr sorgfältig zu behandeln und kannte die betörende Macht des richtigen Wortes in der Stunde der Liebe. Mit der linken Hand knöpfte er ihr einen nach dem anderen die kleinen Perlmuttknöpfe im Rücken auf, während er ihr mit der rechten die Haarnadeln löste, ohne dabei mit den Küssen aus dem Rhythmus zu geraten, die er mit Schmeicheleien durchwob. Er sprach zu ihr von ihrer niedlichen Figur, der durchsichtigen Weiße ihrer Haut, der klassischen Rundung von Hals und Schultern, die in ihm einen Brand entfachten, eine hemmungslose Tollheit.
»Du machst mich verrückt. Ich weiß nicht, was mit mir geschieht, niemals habe ich eine Frau so geliebt wie dich, niemals werde ich wieder so lieben. Diese Begegnung haben die Götter gewollt, wir sind dazu bestimmt, uns zu lieben«, flüsterte er ihr eins ums andere Mal ins Ohr.
Er sagte ihr sein komplettes Repertoire her, aber er tat es ohne Hintergedanken, zutiefst überzeugt von seiner eigenen Ehrlichkeit und staunend entzückt von Rose. Er löste die Schlaufen des Korsetts und befreite sie von ihren Unterröcken, bis sie nur noch die langen Batistunterhosen und ein Nichts von einem Hemdchen trug, das die Erdbeeren ihrer Brüste durchscheinen ließ. Er zog ihr weder die korduanledernen Stiefel mit den geschwun– genen Absätzen aus noch die weißen, an den Knien mit bestickten Bändern gehaltenen Strümpfe.
Hier hielt er inne, keuchend, mit einem mächtigen Tosen in der Brust, überzeugt, daß Rose Sommers die schönste Frau des Universums war, ein Engel war, und daß sein Herz in Stücke zerspringen würde, wenn er sich nicht beruhigte. Er hob sie mühelos auf die Arme, ging durch
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