Fortunas Tochter
sah ihn Rose Sommers, die es schaffte, für jede Vorstellung Eintrittskarten zu ergattern. Sie stand schon lange vor Einlaß am Theater, und den entrüsteten Blicken der Vorübergehenden trotzend, die es nicht gewohnt waren, ein junges Mädchen ihres Standes ohne Begleitung zu sehen, wartete sie stundenlang vor dem Bühneneingang, bis der Maestro aus der Kutsche stieg.
Am Abend der Galavorstellung bemerkte der Tenor die auf der Straße stehende Schönheit und ging zu ihr, um sie anzusprechen. Zitternd beantwortete sie seine Fragen und gestand ihre Bewunderung für ihn und ihren Wunsch, seinen Schritten zu folgen auf dem beschwerlichen, aber göttlichen Weg des Belcanto, wie sie wörtlich sagte.
»Kommen Sie nach der Vorstellung in meine Garderobe, da werden wir sehen, was ich für Sie tun kann«, sagte er mit seiner kostbaren Stimme und einem gerollten R.
Das tat sie dann auch, außer sich vor Seligkeit. Nach den stehenden Ovationen, die das Publikum den Sängern darbrachte, führte ein von Karl Bretzner geschickter Türhüter sie hinter die Kulissen. Sie hatte noch nie hinter die Bühne eines Theaters geblickt, aber sie verlor keine Zeit damit, die sinnreichen Maschinen zum Vortäuschen von Stürmen zu bestaunen oder die gemalten Landschaften auf den Soffitten, ihr einziges Ziel war, ihr Idol kennenzulernen. Sie fand ihn in einem Hausrock aus königsblauem, goldpaspeliertem Samt, sein Gesicht war noch geschminkt, und er trug auch noch die weiße Lockenperücke. Der Türhüter ließ sie allein. Der Raum, voll von Spiegeln, dürftigen Möbelstücken und Vorhängen, roch nach Tabak, Schminke und Moder. In einer Ecke stand ein Paravent, bemalt mit üppigen Frauen in einem türkischen Harem, und an den Wänden hingen auf Bügeln die Kostüme des Tenors. Als Rose ihr Idol so dasitzen sah, sank ihr Enthusiasmus in sich zusammen, aber schon nach wenigen Augenblicken blähte er sich prächtig wieder auf. Bretzner nahm ihre beiden Hände in die seinen, führte sie an die Lippen und küßte sie lange, dann schmetterte er ein hohes C aus voller Brust, daß der Wandschirm mit den Odalisken ins Wackeln geriet. Roses letzte Reste von Prüderie zerfielen in einer Puderwolke, als der Sänger sich mit einer leidenschaftlichen, männlichen Geste die Perücke vom Kopf riß und auf einen Sessel warf, wo sie wie ein totes Kaninchen liegenblieb. Sein Haar wurde von einem dichten Netz plattgedrückt, und mit dem dick geschminkten Gesicht darunter wäre er jedem anderen als Rose wie eine abgelebte Kurtisane vorgekommen.
In eben jenem Sessel, auf den die Perücke gefallen war, sollte Rose ihm ein paar Tage später, genau um ein Viertel nach drei nachmittags, ihre Jungfräulichkeit opfern.
Der Wiener Tenor hatte sie unter dem Vorwand dorthin gelockt, er wolle ihr das Theater zeigen, weil an dem Tag keine Vorstellung sei. Sie trafen sich heimlich in einer Konditorei, wo er sich an fünf Eclairs und zwei Tassen Schokolade delektierte, während sie in ihrem Tee rührte, den sie vor freudig banger Vorahnung nicht schlucken konnte. Dann gingen sie ins Theater. Um diese Zeit waren nur ein paar Frauen zum Saubermachen dort sowie ein Beleuchter, der Öllampen, Fackeln und Kerzen für den folgenden Tag vorbereitete. Karl Bretzner, erfahren in den Gefechten der Liebe, zauberte eine Flasche Champagner hervor und goß jedem ein Glas voll ein, das sie Mozart und Rossini weihten und auf einen Zug leerten. Darauf ließ er das junge Mädchen in der Königsloge Platz nehmen, die von oben bis unten mit Plüsch und pausbäckigen Amoretten und Rosen aus Stuck verziert war, er selbst ging auf die Bühne. Auf einem Säulenstumpf aus bemaltem Pappmache stehend, beleuchtet von den gerade angezündeten Fackeln, sang er allein für sie eine Arie aus dem Barbier von Sevilla und ließ die ganze Geschmeidigkeit und den weichen Schmelz seiner Stimme in endlosen Fiorituren erstrahlen. Als die letzte Note seiner Huldigung erstarb, hörte er Rose schluchzen. Da rannte er los, zu ihr, durchquerte mit verblüffender Behendigkeit den Zuschauersaal, grätschte über die Logenbrüstung und fiel zu ihren Füßen auf die Knie. Atemlos legte er den Kopf auf ihren Schoß und verbarg das Gesicht zwischen den Falten ihres moos– farbenen Seidenrocks. Er weinte mit ihr, denn ganz unerwartet hatte auch er sich verliebt; aus etwas, was wie eine weitere flüchtige Eroberung begonnen hatte, war über Nacht eine glühende Leidenschaft geworden.
Rose und Karl erhoben sich, einander
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