Fortunas Tochter
den Raum und stellte sie vor einen großen Spiegel mit vergoldetem Rahmen. Das gelbe Licht der Kerzen und die Theaterkostüme, die in einem Durcheinander von Brokatgewändern, Federbüschen, Samtumhängen und ausgebleichten Spitzenfichus an den Wänden hingen, gaben der Szene einen Anflug von Unwirklichkeit.
Wehrlos, trunken vor Erregung, betrachtete Rose sich im Spiegel und erkannte diese Frau nicht, die da in der Unterwäsche stand, mit zerwühltem Haar und tränen– nassen Wangen, und der ein ebenfalls unbekannter Mann den Nacken küßte und die zarten Brüste liebkoste. Diese Atempause gab dem Tenor Zeit, ein wenig von der im ersten Ansturm verlorengegangenen Klarheit zurückzu– gewinnen. Er begann sich vor dem Spiegel auszuziehen, ohne Scham, und das muß man sagen - er sah nackt viel besser aus als angekleidet. Er braucht einen guten Schneider, dachte Rose, die noch nie einen nackten Mann gesehen hatte, nicht einmal als Kind ihre Brüder, und ihre Kenntnis aus den übertriebenen Beschreibungen der pikanten Bücher und einigen japanischen Ansichtskarten bezogen hatte, die sie einmal in Johns Gepäck entdeckte und wo die männlichen Organe schlicht optimistische Proportionen besaßen. Der steife rosafarbene Zapfen, der vor ihren Augen erschien, erschreckte sie nicht, wie Karl Bretzner gefürchtet hatte, sondern reizte sie zu einem nicht zu unterdrückenden fröhlichen Gelächter. Das gab allem, was nun folgte, den Ton an. Statt der feierlichen und eher schmerzvollen Zeremonie, die eine Entjungferung zu sein pflegt, ergötzten sie sich an spielerischen Bocksprüngen, verfolgten einander durch den Raum, sprangen wie die Kinder über die Möbel, tranken den Rest Champagner und öffneten eine neue Flasche, um sich mit dem schäumenden Strahl zu bespritzen, sagten sich lachend Unflätigkeiten und flüsternd Liebesschwüre, bissen sich und leckten sich und wühlten gewaltig in dem Sumpf der brandneuen Liebe, den ganzen Nachmittag und bis in den Abend, und dachten weder an die Zeit noch an das übrige Weltall. Nur sie allein existierten. Der Wiener Tenor führte Rose zu epischen Höhen, und sie, strebsame Schülerin, folgte ihm, ohne zu schwanken, und einmal auf dem Gipfel, fing sie an, ein überraschendes Naturtalent, selber zu fliegen, ließ sich von Anzeichen leiten, fragte, was sie nicht erraten konnte, blendete den Maestro und besiegte ihn schließlich mit ihrer improvisierten Geschicklichkeit und dem verwirrenden Geschenk ihrer Liebe. Als es ihnen endlich gelang, sich voneinander zu lösen und wieder in der Wirklichkeit zu landen, war es zehn Uhr abends. Das Theater war leer, draußen herrschte Dunkelheit, und zum Überfluß hatte sich ein Nebel so dick wie Eierschnee breitgemacht.
Nun begann zwischen den Liebenden ein frenetischer Austausch von kleinen Botschaften, Blumen, Süßigkeiten, abgeschriebenen Versen und kleinen sentimentalen Reliquien, solange die Theatersaison in London dauerte.
Sie trafen sich, wo sie nur konnten, die Leidenschaft vertrieb alle Vorsicht. Um Zeit zu gewinnen, suchten sie sich Hotelzimmer in der Nähe des Theaters, gleichgültig gegen die Möglichkeit, erkannt zu werden. Rose schlüpfte unter lächerlichen Vorwänden aus dem Haus, und ihre tief besorgte Mutter sagte Jeremy nichts von ihrem Verdacht und betete, daß das hemmungslose Treiben ihrer Tochter nur vorübergehend sein und ohne Spuren wieder verschwinden möge. Karl Bretzner kam zu spät zu den Proben, und vom vielen Nacktausziehen zu jeder Stunde erkältete er sich und konnte in zwei Vorstellungen nicht singen, aber weit davon entfernt, es zu beklagen, nutzte er die Zeit zum Lieben, eine durch die Fieberschauer gesteigerte Liebe. Er erschien in dem gemieteten Zimmer mit Blumen für Rose, Champagner zum Anstoßen und Bespritzen, Cremekuchen, in Eile geschriebenen und im Bett zu lesenden Gedichten, aromatischen Ölen, um bislang versiegelt gewesene Zonen damit einzureiben, erotischen Büchern, die sie durchblätterten auf der Suche nach den inspiriertesten Stellen, Straußenfedern, sich damit zu kitzeln, und einer Unmenge weiterer Kleinigkeiten und Hilfsmittelchen für ihre Spiele. Die junge Frau fühlte, daß sie sich wie eine fleischfressende Pflanze öffnete, sie strömte sündige Düfte aus, um den Mann anzulocken wie ein Insekt, ihn zu zerquetschen, zu verschlucken, zu verdauen und schließlich seine zersplitterten Knöchelchen auszuspucken. Unerträgliche Energie beherrschte sie, würgte sie, nicht einen Augenblick
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