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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Dienerschaft mobil machte. Die Briefe existierten und waren von solchem Feuer, daß Miss Rose, wenn sie sie gelesen hätte, sich ganz klein vorgekommen wäre. Joaquín schickte sie nicht, sondern übergab sie Eliza bei jedem ihrer Treffen. Darin sagte er ihr in den fiebrigsten Worten, was er von Angesicht zu Angesicht aus Stolz und aus Scham nicht auszusprechen wagte. Sie versteckte sie in einer Blechdose dreißig Zentimeter unter der Erde in dem kleinen Gemüsegarten, wo sie täglich Mama Fresias Heilkräuter zu versorgen vorgab. Diese Blätter, tausendmal in gestohlenen Augenblicken gelesen, waren die Haupt– nahrung für ihre Leidenschaft, denn sie enthüllten eine Seite in Joaquín Andieta, die nie zum Vorschein kam, wenn sie zusammen waren. Es war, als wären sie von einem anderen Menschen geschrieben.
    Dieser stolze, immer abwehrbereite, finstere und zerquälte junge Mann, der sie wie rasend umarmte und dann von sich stieß, als verbrennte ihn die Berührung, öffnete beim Schreiben die Schleusen seiner Seele und schilderte seine Gefühle wie ein Dichter. Später, wenn Eliza Jahre hindurch die ungewissen Spuren Joaquín Andietas verfolgen würde, sollten ihr die Briefe den einzigen Anhaltspunkt für die Wahrheit bieten, den unwiderlegbaren Beweis, daß diese ungestüme Liebe nicht eine Ausgeburt ihrer Jungmädchenphantasie gewesen war, sondern daß sie existierte, ein kurzer Segen und eine lange Qual.
    Seit jenem ersten Mittwochabend in der Kapelle waren Elizas Koliken spurlos verflogen, und nichts in ihrem Verhalten oder ihrem Aussehen verriet ihr Geheimnis außer dem abgründigen Glanz ihrer Augen und dem immer häufiger angewandten Talent, sich unsichtbar zu machen. Bisweilen schien es, als wäre sie an verschiedenen Orten gleichzeitig, und alle Welt war verwirrt, oder besser, niemand konnte sich erinnern, wann oder wo er sie zum letztenmal gesehen hatte, und gerade dann, wenn alle nach ihr rufen wollten, materialisierte sie sich und benahm sich so, als ahnte sie gar nicht, daß sie gesucht wurde. Ein andermal war sie mit Miss Rose im Nähstübchen oder bereitete mit Mama Fresia das Essen zu, aber sie war so schweigsam und durchsichtig gewor– den, daß keine der beiden Frauen das Gefühl hatte, sie wirklich zu sehen. Ihre Gegenwart war in ihrer Zartheit kaum wahrnehmbar, und wenn sie verschwand, wurde sie erst Stunden später vermißt.
    »Du bist wie ein Geist! Ich habe es satt, nach dir zu suchen. Ich wünsche nicht, daß du aus dem Haus gehst oder dich weiter entfernst, als ich dich sehen kann«, befahl Miss Rose ihr wiederholt.
    »Mach doch Lärm, Kind, um Gottes willen! Wie soll ich dich denn sehen, wenn du so still bist wie ein Kaninchen?« zankte Mama Fresia.
    Eliza sagte zu allem ja, sicher, und tat dann, wozu sie Lust hatte, wußte es aber so einzurichten, daß sie dem Anschein nach gehorchte und keiner böse auf sie wurde.
    In wenigen Tagen entwickelte sie eine verblüffende Geschicklichkeit, die Wirklichkeit zu verwirren, als hätte sie sich ihr Leben lang in der Kunst der Magier geübt.
    Angesichts der Unmöglichkeit, sie bei einer Wider– sprüchlichkeit oder einer beweisbaren Lüge zu ertappen, entschied Miss Rose sich dafür, ihr Vertrauen zu gewinnen, und kam bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit auf das Thema Liebe zu sprechen. Anlässe dazu gab es mehr als genug: Klatsch über Freundinnen, romantische Romane, die sie beide gelesen hatten, oder Libretti der neuen italienischen Opern, die sie auswendig lernten, aber Eliza ließ kein Wort fallen, das ihre Gefühle verraten hätte. Miss Rose suchte vergeblich das Haus nach verräterischen Spuren ab, durchwühlte die Wäsche und das Zimmer des jungen Mädchens, kehrte ihre Sammlung von Puppen und Spieldosen, ihre Bücher und Hefte um und um, konnte aber ihr Tagebuch nicht finden. Hätte sie es entdeckt, wäre sie um eine Enttäuschung reicher gewesen, denn auf seinen Seiten war Joaquín Andieta nicht einmal dem Namen nach erwähnt. Eliza schrieb nur, um ihre Erinnerung zu stützen. Dieses Tagebuch enthielt so ziemlich alles, von ihren immer wiederkehrenden Träumen bis zu der unendlichen Liste von Kochrezepten und Ratschlägen für den Haushalt, etwa wie man ein Huhn mästet oder einen Fettfleck beseitigt. Darin standen auch Gedanken über ihre Herkunft, das prächtige Körbchen und den Marseiller Seifenkarton, aber nicht ein Wort über Joaquín Andieta. Sie brauchte kein Tagebuch, um sich an ihn zu erinnern. Erst manche Jahre später

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