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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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die Erinnerung an das Mädchen nicht losgelassen, die er für die Tochter seines Vorgesetzten Jeremy Sommers hielt, weshalb sie für ihn absolut unerreichbar war. Er ahnte nicht, welchen Eindruck er auf sie gemacht hatte, und ihm kam auch gar nicht in den Sinn, daß sie ihm neulich, als sie ihm jenes denkwürdige Glas Orangensaft anbot, ihre Liebe erklärt hatte, und deshalb erschrak er jetzt fürchterlich, als sie ihm einen geschlossenen Briefum– schlag überreichte. Verlegen steckte er ihn in die Tasche und überwachte weiter das Verladen der Kisten auf den Karren, während ihm die Ohren brannten, sein Hemd sich mit Schweiß tränkte und ein Fieberschauer ihm über den Rücken lief. Aufrecht, regungslos, schweigend beob– achtete Eliza ihn wenige Schritte entfernt, sie gab nicht zu erkennen, ob sie Miss Roses wütendes Gesicht bemerkte oder Mama Fresias betrübtes. Als die letzte Kiste auf dem Karren festgeschnallt war und die Maultiere zum Abstieg gewendet wurden, entschuldigte Joaquín Andieta sich bei Miss Rose für die Unannehmlichkeiten, grüßte Eliza mit einem kurzen Neigen des Kopfes und machte sich davon, so schnell er konnte.
    Elizas Brief enthielt nur zwei Zeilen mit der Angabe, wann und wo sie sich treffen sollten. Die Strategie war von solcher Einfachheit und Kühnheit, daß man hätte meinen können, das Mädchen sei äußerst erfahren in schamloser Direktheit: Joaquín sollte sich in drei Tagen um neun Uhr abends in der Mariahilfkapelle einfinden, die auf dem Cerro Alegre nicht weit vom Haus der Sommers errichtet worden war als Schutz für Wanderer.
    Eliza wählte die Kapelle der Nähe wegen und das Datum, weil es auf einen Mittwoch fiel. Miss Rose, Mama Fresia und die Dienstboten würden mit dem Abendessen beschäftigt sein, und niemand würde es merken, wenn sie für eine Weile verschwand. Seit dem Abgang des vergrämten Michael Steward gab es keinen Grund mehr für Lustbarkeiten, und der vorzeitig hereingebrochene Winter eignete sich auch nicht dafür, aber Miss Rose hielt am Brauch der musikalischen Abendgesellschaften fest, um die Gerüchte zu entschärfen, die auf ihre Kosten die Runde machten. Die geselligen Abende nach dem Fortbleiben Stewards aufzukündigen wäre dem Einge– ständnis gleichgekommen, daß er zuletzt der einzige Grund dafür gewesen war.
    Schon um sieben Uhr abends hatte Joaquín Andieta sich am angegebenen Ort eingestellt und wartete ungeduldig. Von weitem sah er das strahlend erleuchtete Haus, den Vorbeizug der Wagen mit den Gästen und die brennenden Laternen der Kutscher. Ein paarmal mußte er sich verstecken, wenn er das Nachtwächterduo heranstapfen hörte, das die vom Wind immer wieder ausgeblasenen Lampen der Kapelle überprüfte. Der kleine rechteckige Ziegelbau mit dem bemalten Holzkreuz darauf war nur wenig größer als ein Beichtstuhl und beherbergte ein gipsernes Standbild der Jungfrau. Auf einer Platte standen Reihen erloschener Votivkerzen und eine Amphore mit verwelkten Blumen. Es war eine Vollmondnacht, aber schwere Wolken zogen über den Himmel und schwärzten immer wieder die Mondhelle.
    Pünktlich um neun Uhr spürte er die Gegenwart des Mädchens und erblickte ihre Gestalt, die vom Kopf bis zu den Füßen in einen dunklen Umhang gehüllt war.
    »Ich habe auf Sie gewartet, Señorita«, war das einzige, was ihm zu stottern einfiel, und er kam sich dabei vor wie ein Idiot.
    »Ich habe immer auf dich gewartet«, erwiderte sie, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.
    Sie nahm den Umhang ab, und Joaquín sah, daß sie festlich gekleidet war. Den Rock hatte sie aufgeschürzt und trug Pantöffelchen an den Füßen, und ihre weißen Strümpfe und die wildledernen Schuhe hielt sie in der Hand, um sie auf dem Weg nicht zu beschmutzen. Das schwarze, in der Mitte gescheitelte Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die von Atlasschleifen zusammengehalten wurden. Sie setzten sich hinten in der Kapelle auf den Umhang, den sie über den Boden gebreitet hatte, verborgen hinter der Statue, schweigend, dicht nebeneinander, doch ohne sich zu berühren. In dem sanften Halbdunkel wagten sie lange Zeit nicht, einander anzusehen, verwirrt durch die plötzliche Nähe, die gleiche Luft atmend und gleichermaßen brennend trotz der schon kühlen Nacht.
    »Ich heiße Eliza Sommers«, sagte sie endlich.
    »Und ich Joaquín Andieta«, erwiderte er.
    »Ich hab mir eingebildet, du heißt Sebastián.«
    »Wieso?«
    »Weil du dem heiligen Sebastian ähnelst, dem Märtyrer. Ich geh

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