Fortunas Tochter
nicht in die Papistenkirche, ich bin protestan– tisch, aber Mama Fresia hat mich ein paarmal mitge– nommen, um ihr Gelübde zu halten.«
Hiermit endete die Unterhaltung, weil sie sich weiter nichts zu sagen wußten; sie warfen sich aus dem Augwinkel Blicke zu, und beide erröteten gleichzeitig. Eliza nahm seinen Geruch nach Seife und Schweiß wahr, aber sie traute sich nicht, mit der Nase näher heranzugehen, wie sie es gern getan hätte. Die einzigen Geräusche in der Kapelle waren das Sausen des Windes und das aufgeregte Atmen der beiden. Nach wenigen Minuten erklärte sie, sie müsse wieder nach Hause, bevor man ihr Fehlen bemerkte, und sie drückten sich zum Abschied die Hände. So trafen sie sich auch an den folgenden Mittwochabenden, immer zu verschiedenen Zeiten und für wenige Minuten. Bei jeder dieser kurzen Begegnungen kamen sie mit Riesenschritten weiter voran in der Trunkenheit und den Qualen der Liebe. Sie erzählten sich hastig das Nötigste, denn Worte schienen nur Zeitverlust, und bald schon nahmen sie sich bei der Hand und redeten so weiter, immer enger zusammen– gerückt, je näher die Seelen einander kamen, bis sie sich am fünften Mittwochabend auf die Lippen küßten, anfangs probend, dann erkundend und endlich ganz an die Lust verloren, die sie innerlich verzehrte. Bislang hatten sie nur gedrängte Zusammenfassungen von Elizas sechzehn und Joaquíns einundzwanzig Jahren getauscht. Sie unterhielten sich über das unwahrscheinliche Körbchen mit den Batistlaken und dem Nerzdeckchen ebenso wie über den Marseiller Seifenkarton, und Joaquín war ungeheuer erleichtert, daß sie nicht die Tochter von einem der Sommers war, sondern von ungewisser Herkunft wie er selber auch, wenn auch gesellschaftlich ein Abgrund sie trennte. Eliza erfuhr, daß Joaquín die Frucht einer schnellen Liebe war, der Vater machte sich aus dem Staub mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der er seinen Samen eingepflanzt hatte, und der Junge wuchs auf mit dem Nachnamen seiner Mutter - den seines Vaters kannte er nicht - und als Bastard gezeichnet, was jedem Schritt auf seinem Wege Schranken setzte. Die Familie verstieß die entehrte Tochter aus ihrem Schoß und wollte von dem unehelichen Kind nichts wissen. Die Großeltern und die Onkel und Tanten, Geschäftsleute und Beamte einer in Vorurteilen festgefahrenen Mittelklasse, lebten in derselben Stadt nur wenige Straßen entfernt, doch sie begegneten sich nie. Sie gingen am Sonntag in dieselbe Kirche, aber zu verschiedenen Zeiten, denn die Armen besuchten die Mittagsmesse nicht. Mit dem Schandmal behaftet, spielte Joaquín nicht auf denselben Spielplätzen, noch ging er in dieselben Schulen wie seine Vettern, doch er trug ihre abgelegten Anzüge und vergnügte sich mit ihren alten Spielsachen, die eine mitleidige Tante über gewundene Umwege der verstoßenen Schwester zukommen ließ. Joaquíns Mutter hatte weniger Glück gehabt als Miss Rose und bezahlte ihre Schwäche sehr viel teurer. Beide Frauen waren fast gleichaltrig, aber während die Engländerin blühend jung aussah, war die andere verbraucht vom Elend, von Auszehrung und von der trübsinnigen Beschäftigung, beim Licht einer Kerze Aussteuern für Bräute zu besticken. Das Unglück hatte ihre Würde nicht geschmälert, und sie erzog ihren Sohn in den unverbrüchlichen Grundsätzen der Ehre. Joaquín hatte sehr früh gelernt, den Kopf hoch zu tragen und jedem Anzeichen von Verhöhnung oder herablassendem Mitleid die Stirn zu bieten.
»Eines Tages werde ich meine Mutter aus diesem elenden Loch herausholen«, versprach Joaquín bei ihren Flüstergesprächen in der Kapelle. »Ich werde ihr ein anständiges Leben verschaffen wie das, was sie hatte, bevor sie alles verlor…«
»Sie hat nicht alles verloren. Sie hat einen Sohn«, entgegnete Eliza.
»Ich war ihr Unglück.«
»Ihr Unglück war, daß sie sich in einen schlechten Mann verliebte. Du bist ihre Erlösung«, entschied Eliza.
Da die Treffen der jungen Leute so kurz waren und nie zur gleichen Zeit stattfanden, konnte Miss Rose nicht Tag und Nacht ununterbrochen Wache halten. Sie wußte, daß etwas hinter ihrem Rücken vor sich ging, aber sie brachte nicht die Niedertracht auf, Eliza einzuschließen oder aufs Land zu schicken, wie es die Pflicht gebot, und sie verzichtete auch darauf, zu Jeremy von ihrem Verdacht zu sprechen. Sie nahm an, daß Eliza und ihr Liebster Briefe wechselten, aber es gelang ihr nicht, auch nur einen abzufangen, obwohl sie die gesamte
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