Fortunas Tochter
vertrauen konnte. Sie wünschte sehnlichst einen Besuch von Kapitän John Sommers herbei, diesem Onkel mit dem Hang zum Freibeuter, der die faszinierendste Persönlichkeit ihrer Kindheit gewesen war, dem einzigen, der sie verstehen und ihr in dieser Not helfen könnte. Sie zweifelte nicht, daß Jeremy Sommers, wenn er je etwas erfahren sollte, dem kleinen Angestellten seiner Firma einen gnadenlosen Krieg liefern würde, und wie Miss Rose sich verhalten würde, war nicht vorauszusehen. Je weniger man hier im Hause wußte, entschied sie, um so mehr Handlungsfreiheit würden sie und ihr zukünftiger Bräutigam haben. Niemals stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn ihre Gefühle nicht mit der gleichen Stärke erwidert würden, denn für sie war es einfach unmöglich, daß eine so überwältigende Liebe nur sie allein erschüttern sollte. Einfachste Logik und simple Gerechtigkeit sprachen dafür, daß irgendwo in der Stadt er die gleichen köstlichen Qualen litt.
Eliza versteckte sich, um ihren Körper an geheimen, vorher nie erforschten Stellen zu berühren. Sie schloß die Augen, und da war es seine Hand, die sie mit vogelleichter Zartheit liebkoste, es waren seine Lippen, die sie im Spiegel berührte, sein Körper, den sie mit dem Kopfkissen umarmte, sein Liebesflüstern, das der Wind zu ihr trug. Nicht einmal ihre Träume konnten der Macht Joaquín Andietas entgehen. Sie sah ihn wie einen riesigen Schatten erscheinen, der sich über sie warf und sie auf tausend aberwitzige und verwirrende Arten verschlang. Liebender, Dämon, Erzengel, sie wußte es nicht. Sie wollte nicht aufwachen und wendete mit fanatischer Entschlossenheit die von Mama Fresia gelernte Fähigkeit an, nach Wunsch und Willen in einen Traum einzutreten oder ihn zu verlassen. Sie beherrschte diese Kunst schließlich in einem solchen Grad, daß ihr illusorischer Geliebter leiblich gegenwärtig wurde und sie ihn berühren und beriechen konnte und ganz klar und ganz nah seine Stimme hörte. Wenn sie nur immer schlafen könnte, würde sie nichts weiter brauchen: sie würde ihn von ihrem Bett aus für immer lieben können. Sie wäre im Fieberwahn dieser Leidenschaft zugrunde gegangen, wenn nicht Joaquín Andieta eine Woche später im Haus vorgesprochen hätte, um die bewußte kostbare Fracht abzuholen und an den Kunden im Norden zu schicken.
In der Nacht davor hatte sie gewußt, daß er kommen würde, aber nicht aus Instinkt oder Vorahnung, wie sie Jahre später andeutete, als sie es Tao Chi’en erzählte, sondern weil sie am Abend gehört hatte, wie Jeremy Sommers es seiner Schwester und Mama Fresia mitteilte.
»Die Fracht wird von demselben Angestellten abgeholt werden, der sie gebracht hat«, fügte er beim Hinausgehen hinzu und ahnte nicht, welchen Sturm von Emotionen seine Worte aus verschiedenen Gründen bei den drei Frauen entfesselten.
Eliza verbrachte den Morgen auf der Terrasse und ließ den Weg nicht aus den Augen, der bergauf zum Haus führte. Gegen Mittag sah sie den Karren kommen, von sechs Maultieren gezogen und gefolgt von berittenen und bewaffneten Peones. Eine eisige Ruhe kam über sie, ihr war, als wäre sie gestorben. Sie merkte nicht, daß Miss Rose und Mama Fresia sie vom Haus aus beobachteten.
»Mit soviel Mühe großgezogen, und sie verliebt sich in den erstbesten Kerl, der ihr über den Weg läuft!« murmelte Miss Rose.
Sie hatte beschlossen, ihr möglichstes zu tun, um das Unheil abzuwenden, allerdings ohne rechte Überzeugung, denn sie kannte nur allzugut die Verstocktheit der ersten Liebe.
»Ich werde die Ladung übergeben. Sag Eliza, sie soll ins Haus kommen, und laß sie nicht hinaus, unter keiner Begründung«, ordnete sie an.
»Und wie soll ich das machen?« fragte Mama Fresia verdrossen.
»Notfalls schließt du sie ein.«
»Schließen Sie sie ein, wenn Sie können. Packen Sie das nicht mir auf«, antwortete Mama Fresia und schlurfte hinaus.
Es stellte sich als unmöglich heraus, das Mädchen daran zu hindern, daß sie auf Joaquín Andieta zuging und ihm einen Brief aushändigte. Sie tat es ganz offen und sah ihm dabei in die Augen, und das mit so wilder Entschlossenheit, daß Miss Rose nicht den Mut aufbrachte, sie festzuhalten, und ebensowenig Mama Fresia wagte, sich dazwischenzustellen. Da begriffen die Frauen, daß der Zauber unvorstellbar viel stärker war und daß es weder genügend verschlossene Türen noch geweihte Kerzen geben werde, um ihn zu beschwören.
Auch den jungen Mann hatte die ganze Woche lang
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