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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Straße, welche sich in steilen Bogen abwärts wand, den nackten Leichnam eines Mannes im dürren Gras einer Wiese liegen. Er befand sich gut ein Dutzend Klafter unter uns, doch obgleich der Wind uns im Rücken stand, war der aufsteigende Gestank unerträglich.
    »Meine Vettern«, sprach mein Vater, »setzet Euern Weg fort, ohne zu verweilen, und auch du, Samson. Wartet dann am Fuße des Hügels auf uns.«
    Benoît gab den Rössern die Peitsche, daß sie in Galopp verfielen, gefolgt von Samson auf seinem Schimmel. Meine kleine schwarze Stute und der große Apfelschimmel meines Vaters, die es stark gelüstete, ihnen nachzusprengen, waren nur mit Mühe zurückzuhalten, doch nach einigem Wiehern, Tänzeln und Aufbäumen standen sie still, nur noch ein wenig mit den Beinen zitternd, auf dem Hang, von dem wir auf den Leichnam hinabsahen.
    »Pierre«, hub mein Vater an, »der arme Kerl trägt alle Anzeichen der Pest an seinem Leibe. Ich habe sie Euch schon genannt. Vermöget Ihr sie zu wiederholen?«
    »Gewiß«, erwiderte ich, indes mir der Hals wie zugeschnürt war und mir fast die Sinne schwanden vor Übelkeit ob des Gestanks und des erschrecklichen Anblicks der Leiche. »Das große Geschwür, das ihm die Haut in der rechten Leiste beult, ist eine Drüsengeschwulst. Die schwarzen Pusteln auf dem Bauch sind Pestbeulen. Und jener Ausschlag, der sich rot, bläulich und violett auf der Brust zeigt, sind Peststriemen.«
    »Sehr gut geantwortet«, sprach mein Vater, über mein Unwohlsein hinwegsehend. »Beachtet auch die schlaffe, gelbliche Haut des Leichnams, die fahle Gesichtsfarbe, die schwärzlichen Augenlider und das verzerrte Gesicht. ›Wer stirbt, stirbt unter Schmerzen‹, hat Villon gesagt, und für einen Pestkranken gilt das mehr als für jeden anderen.«
    »Wie kommt es«, fragte ich, »daß der Mann hier auf der Wiese liegt und nicht in seinem Bett?«
    »Das Übel beginnt mit heftigem Fieber, starker Herzschwäche, Schwellung des Unterleibes, übermächtigem Brechreiz sowie fortwährenden fauligen Bauchflüssen. Nach einigen Stunden kommt ein so unerträgliches Kopfweh hinzu, daß der Kranke davon ganz außer sich gerät, in seinem rasenden Schmerz das Haus verläßt und davonrennt, bis er vor Ermattung niederstürzt.«
    »So ist er also dort niedergestürzt und hat ohne Beistand, ohne Freunde, nackt wie er auf die Welt gekommen, seinen Geist ausgehaucht.«
    »Er war nicht nackt. Bettler werden ihm die Kleider vom Leibe gezogen haben. Doch sie werden auch sterben, und man wird ihnen wiederum die Kleider nehmen. Und so gehen die Kleider und die Wäsche der Verstorbenen von Hand zu Hand und bringen einem jeden, der sie berührt, den Tod. – Mein Sohn«, fuhr er mit veränderter Stimme fort, »siehst du den Raben dort, der sich auf der Spitze jener Kastanie spreizt? Ich bitte dich, daß du ihn tötest!«
    Sehr erstaunt über diesen Befehl, doch ohne ein Wort der Erwiderung, zog ich eine meiner beiden Pistolen aus der Satteltasche, spannte den Hahn, streckte den Arm aus, hielt den Atem an und drückte ab. Der Vogel stürzte nieder und riß im Falleneinige der bereits gelb gewordenen Blätter mit sich. Ein wenig verwundert, daß für ein solches Ziel eine Kugel verschwendet worden war, lud ich meine Pistole wieder.
    »Hat er vom Fleisch des Kadavers gefressen?« fragte ich.
    »Nein. Ein Rabe rührt niemals das Fleisch eines Pesttoten an. Dazu ist er ein viel zu schlaues Tier. Doch nun vorwärts!«
    Mein Vater lenkte seinen Schimmel auf die sich abwärts windende Straße, und als ich aufgeschlossen hatte und an seiner Seite ritt, hielt er sein Roß im Schritt und sprach:
    »Der Leibarzt des Königs, Ambroise Paré, ein trefflicher Mann und wie wir ein Anhänger der neuen Religion, hat einmal erzählt, wie er zum ersten Male zu einem Pestkranken gerufen ward: als er die Bettdecke anhob, ihn zu untersuchen, fuhr ihm der aus den Pestbeulen strömende widerliche Gestank derart in den Hals, daß es ihm die Sinne nahm und er bewußtlos niederfiel. Nun denn, mein Sohn«, fuhr mein Vater lächelnd fort, »Ihr übertreffet bereits den großen Ambroise Paré – wenn nicht an Wissen, so doch an Kaltblütigkeit. Denn als Ihr auf den Raben schosset, hat Eure Hand nicht gezittert.«
    Hierauf gab er seinem Pferd beide Sporen, indes sein schmeichelhaftes Lob mir neuen Mut verlieh, nachdem der Anblick des Pesttoten größtes Entsetzen in mir erregt hatte.
    Wir hatten die Vorstadt Lendrevie fast erreicht, als mein Vater, der an der

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