Fortune de France: Roman (German Edition)
da es ihr Los ist, eng zusammengepfercht im Dreck und in großer Bedürftigkeit zu leben, fallen sie der Krankheit in Massen zum Opfer.«
Am Stadttor von Lendrevie angelangt, rief mein Vater die Wache heraus und gebot ihr, den Kommissionären zu vermelden, daß er Rindfleisch für Monsieur de la Porte und die Konsuln bringe. Hierauf befahl er den Brüdern Siorac zu warten und ritt mit Samson und mir in die Vorstadt hinein.
Um die Luft zu reinigen, loderten an den Straßenkreuzungen große Feuer aus Nadelholz auf dem Pflaster, die Sommerhitzenoch verstärkend. Auf den Straßen keine Menschenseele, außer den unsichtbaren Toten. Weder Hunde noch Katzen oder Tauben, wiewohl es davon in Sarlat sonst mehr als genug gab. Man hatte sie bei Ausbruch der Pest in Massen getötet, weil man die armen Tiere verdächtigte, die Seuche zu verbreiten. Hie und da gewahrte ich ein vernageltes Haus, aus dem die Klagen der Eingeschlossenen drangen. Über den vernagelten Haustüren war ein Stück schwarzes Tuch angebracht, was bedeutete, wie mir mein Vater leise erklärte, daß bei Strafe seines Lebens keiner sich hinein- noch herausbegeben oder sich auch nur nähern dürfe.
Mein Vater zügelte sein Roß auf einem kleinen Platz, vor einem alten Haus mit vorkragenden Obergeschossen. Es war mir wohlbekannt, und ich begriff, daß die Überbringung eines halben Rindes für Monsieur de la Porte und die Konsuln nicht der einzige Grund unserer Unternehmung war.
Obgleich angetan mit seinem Harnisch, sprang Jean de Siorac leichtfüßig von seinem Roß und hieß auch uns absitzen und die drei Reittiere an den ins Pflaster eingelassenen eisernen Ringen anbinden. Wir befanden uns etwa zehn Schritte von dem Pesthaus entfernt, und nach einem Blick in die Runde, ob ihn auch keiner sähe, trat mein Vater an das Haus heran und zog an dem Korb, welcher an einem Seil aus einem Oberbodenfenster herabhing. Darauf ertönte eine Klingel, und ein Kopf erschien in der Luke. Es war Franchou, das Gesicht etwas eingefallen, doch ihre Wangen waren rot.
»Heiliger Jesus!« rief sie, sich weit aus dem Fensterchen beugend, was uns den Anblick ihrer hübschen Brüste bot, die aus dem Mieder quollen. »Ihr seid es, Moussu lou Baron! Gott sei gelobt, Ihr lasset Eure Dienerin nicht im Stich!«
»Pst, Franchou! Man könnte dich hören. Bist du krank?«
»Vor Hunger und Angst. Ansonsten bin ich gesund. Seit dem Tod meiner Herrin habe ich diese Kammer nicht verlassen.«
»Ich werde dich da herausholen. Vermeinst du, daß du durch das Fenster paßt? Du bist ein wenig füllig!«
»Gewiß!« erwiderte Franchou. »Mein Leib ist wohlgerundet, besonders an seinem unteren Teil. Doch ich werde mich schon hindurchzwängen. Auch eine dicke Maus kommt aus ihrem Loch heraus.«
»Sehr wohl. Ich werde holen, was wir brauchen.«
Samson zur Bewachung unserer Pferde zurücklassend, begab sich mein Vater mit mir in die umliegenden Straßen, in den Höfen und Schuppen nach einer Leiter zu suchen. Als wir endlich eine gefunden hatten – was seine Zeit dauerte, denn sie mußte ziemlich lang sein –, ergriffen wir sie jeder an einem Ende und kehrten schwitzend zu dem kleinen Platz zurück, beunruhigt ob des lauten Geschreis, das wir vernahmen.
»Was ist das nur für ein Tumult?« sprach mein Vater stirnrunzelnd, seine Schritte beschleunigend.
Als wir an dem Platz mit dem Haus von Madame de la Valade anlangten, ließen wir vor Erstaunen die Leiter fallen. Die Pistole in der Hand, versuchte Samson auf seinem tänzelnden Schimmel etwa zwei Dutzend mit Piken, Messern, Dreschflegeln (zwei sogar mit Arkebusen) bewaffnete Galgenvögel in Schach zu halten, welche ihn und die beiden angebundenen Gäule umstanden, dabei laut schreiend, ohne sich zum Angriff entscheiden zu können. Auch Samson schoß nicht (was ich an seiner Stelle vielleicht getan hätte). Ohne einen Ausdruck von Angst oder Zorn auf seinem engelhaften Gesicht, hatte er seine erstaunt blickenden blauen Augen auf die Menge gerichtet und rief mit seinem bezaubernden Lispeln immerfort:
»Was ist mir das? Was ist mir das?«
»Was ist mir das?« ahmte mein Vater ihn grollend nach. »Was wollen diese Kerle? Frisch gewagt, mein Pierre, auf sie!«
Sogleich blankziehend – was ich ihm nachtat –, stürzte er auf die Meute los, ich immer hinterdrein. Mit der flachen Klinge einige Schläge austeilend, doch achtend, daß er niemanden verletzte, bahnte er sich einen Weg bis zu den Gäulen, band sie los, warf mir die Zügel zu und
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