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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Freudensprung bei diesem Anblick. Ich zog meinen Degen aus der Scheide und hieb damit gewaltig durch die Luft, die Pest und ihre abscheulichen Mordgehilfen zu durchbohren, worüber Samson lauthals lachte – doch ohne Spott, denn es lag ihm fern, sich über andere lustig zu machen. Nachdem ich mit ihm gelacht, löschte ich die Lampe und sank sogleich in tiefen Schlaf, voller Freude und Stolz darüber, meinen Vater durch die Fährnisse seiner Unternehmung begleiten zu dürfen, und darauf brennend, viel Neues über meinen künftigen Stand zu sehen und zu erfahren.
    Mein Vater weckte uns am nächsten Tag im Morgengrauen und brachte jedem eine Schale heiße Milch, ein großes Stück Weißbrot mit frischer Butter sowie ein mächtiges Trum Salzfleisch. Er forderte uns auf, diesem Imbiß gehörig zuzusprechen, und indes wir, jeder auf seinem Bett sitzend, die Kiefer wacker rührten, sprach mein Vater, den Fuß auf einen Schemel setzend, mit großem Ernst:
    »Pierre, du sollst wissen – und auch du, Samson –, daß Gott, weil er nichts tut, was nicht gut und richtig ist, schwerwiegende, dem Menschen allerdings verborgene Gründe hat, unsdie Pest zu schicken. Indes vollzieht sich Gottes Handeln nur über natürliche Kräfte, gegen die der Mensch sich billigerweise zur Wehr setzen darf, sei es, indem er ihrem Wirken vorzubeugen sucht, sei es, indem er sie bekämpft, wenn sie ihn bedrängen.«
    Hochaufgerichtet stand er da, die Hände in den Hüften, in kurzen, klaren Worten sprechend.
    »Ihr müßt wissen, meine Herren Söhne, daß die Pest auf den Menschen übertragen wird durch die verdorbene Luft, welche die Pestkranken umgibt, ebenso ihre Wäsche, ihren Hausrat, ihre Häuser und die Straßen, durch die sie gegangen. Manche Gelehrte vermeinen, die verdorbene Luft gelange in unseren Körper über stinkende Dünste; andere wiederum vermuten, durch kleine giftige Tierchen, so winzig, daß man sie nicht sehen kann, welche ihren Weg durch Mund, Nase, Ohren und Hautporen nehmen, ihre Eier im Blute ablegen und selbiges in Fäulnis versetzen. Aus dieser Ursache ist es zum ersten wichtig, gut zu essen …«
    »Warum denn?« fragte ich mit vollem Mund, ganz erstaunt, daß etwas, was mir ein Vergnügen schien, auch ein Heilmittel sein soll.
    »Weil die edlen Körperteile, welche das Gift angreift, sich nur zur Wehr setzen können, wenn sie gut gestärkt sind. Solange die Venen und Arterien nicht mit frischer Nahrung gefüllt sind, kann das Gift viel leichter eindringen und sich der edlen Körperteile bemächtigen, als da sind: das Herz vor allem, die Brust und die Genitalien. Zum zweiten … Ah, du bist fertig mit Essen, Pierre, erhebe dich flugs und lege dein Hemd ab.«
    Was ich, nicht ohne mich zu verwundern, tat. Mein Vater nahm darauf vom Boden eine Schale mit Essig, welche er mitgebracht, netzte darin seine Rechte und rieb mir die Schläfen, die Achselhöhlen, die Herzgegend, die Leistenbeugen und die Geschlechtsteile ab.
    »Dies«, so sprach er, »wird deinen Leib vor Ansteckung bewahren.«
    »Und wieso?« fragte ich.
    »Der Essig«, hub er an, sich Samson zuwendend, um auch ihn abzureiben. »Aber wie kräftig und gut gebaut dieser kleine Bursche ist! Es ist ganz wunderbarlich, wie trefflich in seinem Alter seine Glieder schon gebildet sind!«
    Er unterbrach sich, wendete den Kopf und warf mir einen prüfenden Blick zu, als fürchte er, mich mit seiner Lobrede über meinen Bruder verletzt zu haben. Doch war mir dies gar nicht in den Sinn gekommen, denn ich war gänzlich gefesselt von dem Gegenstand seines Vortrages.
    »Der Essig, mein Herr Vater?« fragte ich.
    »Ach ja! Der Essig ist seinem Wesen nach kalt und trocken. Und das Kalte und Trockene ist der Verwesung höchst abträglich. Aus welchem Grunde man Kräuter und Zwiebeln in Essig aufbewahrt, welcher jedes Gift abweist und den Körper vor Fäulnis bewahrt.«
    Nach diesen Worten hängte mein Vater einem jeden von uns ein kleines Säckchen um den Hals, so daß es auf der Brust zu liegen kam.
    »Diese Säckchen«, so erklärte er, »enthalten ein Pulver aus gewürzhaften Stoffen, welche das Herz schützen. Kleidet Euch an, Pierre und Samson. Es ist Zeit zum Aufbruch.«
    Als wir unsere Kleider angelegt, nahm er zwei kleine Beutel aus der Tasche und reichte sie uns.
    »Hängt dies«, sprach er, »an Euren Gürtel. Es sind Gewürznelken, sehr teuer in ihrem Preis, von denen Ihr ständig einige kauen müßt, solange Ihr Euch in Sarlat oder an anderen pestverseuchten Orten

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