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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Spitze unseres Zuges ritt (Samson und ich bildeten den Schluß), uns ein Zeichen zum Halt gab. Sich umwendend, rief er mich und sprach:
    »Wir werden den abscheulichen Leichenzug dort in gehöriger Entfernung vorbeiziehen lassen.« Er wies mit der Hand auf drei mit Toten beladene Karren, die aus der Stadt kamen und vor uns nach rechts auf ein großes Feld abbogen, allwo sich unter der brennenden Sonne etliche Gruben im Lehmboden auftaten.
    Auf den Böcken der Wagen saßen, reglos, mit leinenen, weißen Umhängen bekleidete Männer, die Köpfe mit Kapuzen verhüllt. Auf ihren Knien hatten sie lange, mit eisernen Haken versehene Holzstangen liegen. Als der erste Wagen vor uns abbog, sah ich, daß die Toten in völliger Nacktheit kreuz und quer übereinander geworfen waren. Obgleich der Wind von hinten wehte, war der Gestank unerträglich.
    »Ist dort ein neuer Gottesacker?« fragte ich erstaunt.
    »Nein, aber in Pestzeiten dürfen die Toten nicht neben derKirche begraben werden, um die geweihte Erde nicht zu verpesten. Deshalb bringt man sie auf dem erstbesten Feld in die Erde, in Massengräbern.«
    »Und wozu dienen den Totengräbern die langen Haken?«
    »Es sind keine Totengräber. Die sind schon in den ersten Tagen alle gestorben. Die Gestalten da in den weißen Kutten sind Pestmänner, und der Haken bedienen sie sich, um die Toten nicht berühren zu müssen.«
    »Sie spießen ihnen die Haken in den Leib?« fragte ich entsetzt. »Wie barbarisch!«
    »Gewiß! Doch wenn man solches nicht duldete, fände sich niemand für diese Verrichtung. Die Stadt muß ihnen ohnehin einen hohen Lohn zahlen.«
    »Und wieso sterben die Pestmänner nicht?«
    »Sie sterben, wie andere auch. Deshalb wird ihnen soviel Geld geboten.«
    In diesem Augenblick hielt der Pestmann, welcher das Gespann des dritten Wagens lenkte, sein Fahrzeug an, ehe es von der Straße auf das Feld abbog.
    »Gott zum Gruß, Moussu lou Baron!« schrie er laut und fröhlich.
    »Gott zum Gruß! Du kennst mich?«
    »Gewiß! Trotz der Maske habe ich Euch an dem Apfelschimmel und an Eurer Art, zu Pferde zu sitzen, erkannt. In diesem Frühjahr habe ich als Euer Tagelöhner beim Bau der Straße von Mespech zur Beunes-Mühle gearbeitet.«
    »Und wie ist es dir seitdem ergangen?«
    »Ich war fast immer ohne Lohn und Brot, Gott sei’s geklagt! Habe drei Monate lang am Hungertuch genagt und war dem Tod schon nahe.«
    »Auf Mespech hättest du nicht vergeblich um ein Stück Brot und einen Napf Suppe gebeten.«
    »Doch wie hätte ich dorthin gelangen sollen? Meine Beine trugen mich schon nicht mehr. Gottlob hat die Pest mich gerettet! Endlich habe ich satt zu essen.«
    »Wieviel zahlt dir die Stadt für die Arbeit als Pestmann?«
    »Moussu lou Baron, es ist ganz wunderbarlich! Zwanzig Livres im Monat, von denen schon zehn in meiner Tasche klingen. Die restlichen zehn bekomme ich am Ende des Monats, falls ich dann nicht schon unter der Erde bin.«
    Er lachte auf und bekreuzigte sich.
    »Doch ich will mich nicht beklagen«, fuhr er in fröhlichem Ton fort. »Wie herrlich ist es doch nach all dem, was ich erlitten, daß ich alljetzt so reich bin, immer etwas zu beißen habe, jeden Tag Fleisch essen und Cahors-Wein trinken und mich sogar mit den Lustdirnen aus der Vorstadt vergnügen kann! Gott möge mir verzeihen, doch ich habe zu lange enthaltsam leben müssen!«
    »Hast du Weib und Kind?«
    »Nein, ich hatte nie die Mittel!«
    »Nun denn, Gesell, ich wünsche dir Wohlergehen und langes Leben.«
    »Das Wohlergehen genieße ich schon, aber ein langes Leben wird mir wohl nicht beschieden sein!« erwiderte der Pestmann lachend. »Doch freue ich mich über jeden Tag, der mir zuteil wird, wenn ich nicht hungern muß.«
    Hierauf gab er seinen Gäulen die Peitsche und fuhr mit seinem Karren der offenen Grube entgegen.
    »Ist seine Fröhlichkeit nicht ganz und gar unglaublich?« sprach ich, ihm nachblickend.
    Mein Vater nickte mit dem Kopf.
    »Die Armen haben einen blinden, ungestümen Mut, der sich aus ihrem Stand erklären läßt. Und sie brauchen ihn gewißlich mehr als andere, denn es trifft nicht zu, wie oft behauptet wird, daß die Pest Arme und Reiche gleichermaßen befällt. Bei der ersten Schreckenskunde vom Nahen der Seuche halten sich die betuchten Bürger nämlich genauestens an die bekannte Vorschrift des Galenus: ›Brich ungesäumt auf, begib dich weit weg, kehre spät zurück.‹ Die Armen indes bleiben an den verseuchten Orten, weil sie nirgendwo hingehen können. Und

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