Fortune de France: Roman (German Edition)
Johannes mit Lockenhaar!« Und für mich: »Mein kleiner Liebling! Mein Herzchen! Mein hübsches, kleines Hähnchen!« Dies sind nur wenige Beispiele, denn Barberine bedachte uns jeden Abend mit neuen Kosenamen.
Catherine und Samson fielen bei diesem abendlichen Ritual immer gleich in Schlaf, nicht jedoch die kleine Hélix, welche mir hinter dem breiten Rücken Barberines immer noch Gesichter schnitt. Auch ich ließ mich nicht so bald vom Schlaf überwältigen, obgleich ich so tat; auf der Seite liegend, die Augen halb geschlossen, sah ich mit bravem, unschuldigem Gesicht zu, wie Barberine ihre Kleider ablegte, indes sich auf der runden Turmwand ihr riesiger Schatten bewegte.
Heute weiß ich, daß Barberine nicht von so riesenhafter Statur war, wie es mir damals schien. Sie war gleichwohl ein fülliges Frauenzimmer, mit dichtem schwarzem Haar, rundem Gesicht, einem großen Mund, einem runden, kräftigen Hals, breiten Schultern und mit üppigen, festen Brüsten, daraus ich das Leben gesogen und von denen ich ganz geblendet war, wenn sie im Scheine der Lampe unter allerlei Seufzern das rote Mieder aufschnürte, das diese vollen Brüste gefangenhielt, die in Erwartung ihrer Befreiung anzuschwellen schienen, indes Barberine mit ihren dicken Fingern Knoten um Knoten die Verschnürunglöste. Am Ende traten sie, aller Hüllen ledig, milchreich und prall hervor, märchenhaft vergrößert durch den Schatten an der Wand, als würde der ganze Turm zu einem riesigen Busen, welcher sich des Nachts an unsere Wangen schmiegte. Mit Sorgfalt legte Barberine ihr rotes Mieder zusammen, ihr Hemd, den Unterrock, die Schürze und schließlich den Überrock aus grünem Samt, besetzt mit drei roten Streifen: einer um die Taille, einer in Höhe der Schenkel, der dritte unten am Saum. Hernach streifte sie ein weites, ärmelloses weißes Hemd mit tiefem Ausschnitt über, in dem ihre Brüste frei hin und her schwangen. Sie seufzte dann vor Glück und Schläfrigkeit, indes sich ihr schwerer Leib auf der wollenen Matratze zurechtschob. Dies war der Augenblick, den es zu nutzen galt, um eine Frage oder Bitte an sie zu richten, denn gleich darauf war es zu spät, die Lampe gelöscht und auch sie gleichsam erloschen – in einen tiefen Schlaf versunken, aus dem sie zehn Feuerbüchsen, zu gleicher Zeit im Turm abgefeuert, nicht hätten wecken können.
Ich sprang also aus meinem Bett und lief zu dem ihren, mich in ihre Arme zu schmiegen.
»Was ist denn das für eine hübsche kleine Maus?« sprach Barberine mit ihrer tiefen, singenden Stimme, mich an sich drückend. »Und was will sie von mir?«
»Barberine«, hub ich an, »warum hat meine Mutter den Vater so in Zorn gebracht?«
»Alldieweil sie selbst zornig war«, antwortete Barberine, weil sie nicht lügen konnte.
»Weshalb war sie denn zornig?«
»Weil der Notarius den Samson in seinem Schriftstück Samson de Siorac genannt.«
»Und heißt er denn nicht so, Barberine?« fragte ich erstaunt.
»Jetzt schon.«
»Und wie hieß er vorher?«
»Da hatte er keinen Namen.«
Ich glaubte meinen Ohren nicht.
»Aber er ist doch mein Bruder!«
»Gewißlich«, erwiderte Barberine, »und dazu wohlgestalt und stark und schön wie der junge Frühling! Es wäre Jammer und Schade gewesen, ihn nicht Siorac zu nennen. Gott segne ihn!«
Sie fügte murmelnd hinzu:
»Und auch die Jungfrau Maria möge ihn segnen. – Aber nunab, du kleine Maus«, fuhr sie energisch fort, »zurück in dein Loch. Ich lösche das Licht.«
Und noch ehe ich mein Bett erreicht, blies sie die Lampe aus, so daß stockfinstere Nacht mich umgab und ich aus Versehen im Bett der kleinen Hélix landete, welche mit gespitzten Ohren noch wach lag und deren Arme sich sogleich mit erstaunlicher Kraft um mich schlossen.
Freilich, sie zählte schon zehn Jahre, und ich weiß nicht, warum sie immer noch die »kleine« Hélix genannt ward, denn sie war beileibe nicht mehr klein, sondern besaß schon die ersten Rundungen.
»So, jetzt hab ich dich!« sprach sie mit leiser Stimme. »Und als Teufelin werde ich dich mit Haut und Haar auffressen!«
»Das glaube ich dir nicht«, erwiderte ich, »du hast ja keine spitzen Zähne wie der Wolf!«
»Und ob ich die habe!« sprach sie weiter, mich auf den Rücken rollend und sich in ganzer Länge auf mich pressend. »Ich fange immer mit dem Ohr an, weil es das beste Stück ist, so wie der Hahnenkamm oder das Herz der Artischocke. Danach folgt Stück für Stück das andere, bis nur noch Knochen übrig
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