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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mit all dem Gelde?«
    »Das weiß ich nicht zu sagen. Auf jeden Fall bleiben die Münzen nicht lange im Brunnen.«
    »Das kann ich mir denken«, sagte mein Vater.
    »Um Euch ein Beispiel zu nennen«, fuhr die Maligou fort, »da war der arme Petremol, welcher vor zwei Jahren das Zeitliche gesegnet hat …«
    »An einem ersten Januar«, merkte Barberine an.
    »Du hast recht, es war am ersten Januar. Also wie Ihr wißt, hatte ihm der heilige Avit seit zehn Jahren die Glieder mit einem ganz fürchterlichen Gelenkreißen verkrümmt. Und so machte sich Petremol einen Monat vor seinem Tod nach Saint-Avit auf, ließ eine Messe für den Heiligen lesen und zog sich, obgleich es kalter Winter war, splitternackt aus, rieb sich den Leib mit dem eiskalten Wasser des Heiligen ab – und ward geheilt!«
    »Und zwar so gut«, hielt mein Vater entgegen, »daß er einen Monat danach in meinen Armen an einem Brustfluß starb.«
    »Aber dennoch, Herr Baron, war er geheilt von seinem Gelenkreißen.«
    »Gewiß, dort, wo er alljetzt ist, leidet er nicht mehr. So schickt also der heilige Avit das Gelenkreißen und heilt es auch. Welch großes Wunder!«
    »Es ist doch nur recht und billig, daß er wieder streckt, was er verkrümmt hat, Moussu lou Baron«, sprach die Maligou. »Genau wie der Heilige von Sarazac, der die Beine der Wiegenkinder verkrüppelt, sie auch wieder geraderichtet.«
    »Vermittels einer Messe und einiger Sols.«
    »Und durch Abreibung mit Wasser aus dem Brunnen des Heiligen.«
    »Welches nicht besser ist als das Wasser aus unserem Brunnen«, entgegnete mein Vater. »Liebe Leute«, so fuhr er, sich erhebend, mit ernster Stimme fort, »ihr habt alle die Maligou gehört. Und wer hätte bei den Worten dieses armen Schnatterweibes wohl nicht die Listigkeit der Pfaffen bewundert, mit der sie die Leichtgläubigkeit des einfachen Volkes ausnutzen. Anstatt die Heiligen ob ihrer christlichen Tugenden zu ehren, macht man kleine Götter und Dämonen aus ihnen, die aufs Haar denen der Heiden gleichen. Denn auch die alten Römer hatten ihre Heiligen. So glaubten sie, daß in ihren fischreichen Seen Najaden lebten, welche den Fischfang begünstigen, und denen warfen sie zwar keine Münzen ins Wasser, aber Ziergefäße, Armbänder und Blumen.«
    Mein Vater hielt inne in seiner Rede und warf der Maligou einen gestrengen Blick zu.
    »Oh, Maligou!« sprach er weiter, »es würde ein dickes Buch füllen, wollte man alles aufschreiben, was du glaubst. In Wirklichkeit sind es nur Dunstbilder und Gespinste deines armen Hirnes … auch, daß die Gavachette die Tochter eines Zigeuners sei, was beileibe nicht stimmt.«
    Hierauf blieb der Maligou vor Staunen das Maul offenstehen, und die Gavachette riß ihre glänzenden, mandelförmigen schwarzen Augen auf und starrte meinen Vater nur stumm an.
    »Es ist ketzerischer Aberglaube«, fuhr mein Vater fort, »un seren Heiligen die Kraft zur Heilung von Gebrechen anzudichten. Es ist stinkende Götzendienerei, sie in den Stand von Göttern zu erheben und anzubeten. Es gibt nur
einen
Gott, und Er allein heilt die Seele und den Leib. Zu Ihm und nur zu Ihm allein darf man beten.«
    Noch immer benommen von meines Vaters Worten über die Geburt der Gavachette (denn die Vergewaltigung durch den Zigeunerhauptmann in ihrer Scheune war der Glanz und die Zierde ihres Lebens), saß die Maligou in sich zusammengesunken da, starrte vor sich hin und sprach kein einziges Wort.
    Auch kein anderer in der Runde wagte zu sprechen. Ich glaube freilich nicht, daß es meinem Vater in den wenigen Minuten gelungen war, jahrhundertealte Glaubensüberlieferungen aus ihren Köpfen zu tilgen. Doch unsere Leute waren es gewohnt, sich der Autorität des Pfarrers zu beugen – warum sollten sie sich da nicht der meines Vaters, Sauveterres und des Pastors Duroy beugen, welche ernste und gelehrte Männer waren, die Bücher lasen und die Dinge kannten. Und mein Vater war obendrein noch ein großer Heilkünstler, der das einfache Volk kurierte, ohne jemals einen Heller dafür zu verlangen.
    »Nun denn«, hub mein Vater wieder an, »ihr wißt jetzt hinlänglich Bescheid. Ihr kennt die Fehler und Falschheiten, welche wir berichtigen wollen. Werdet ihr also euren Herren in die reformierte Religion nachfolgen?«
    Da keiner darauf erpicht war, als erster zu antworten, entstand ein langes Schweigen, welches die Herren Brüder in Verlegenheit setzte. Zum Glück fing Annet, den die kleine Hélix in ihren Armen wiegte und der bisher sehr brav

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