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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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unausgesprochenen Worte in ihrem Kopf ja hören. Kommt doch, ihr habt sowieso schon alles genommen. Bringen wir es hinter uns.
    Die Vorstellung war auf eine Art sehr friedvoll, fast eine Gnade in ihrer schlichten, hoffnungslosen Endgültigkeit.
    Doch dann kamen sie nah genug, dass Chance im Licht aus dem Wohnzimmerfenster ihre Gesichter erkennen konnte, oder das, was sie statt eines Gesichts hatten. Da stand Chance auf und ging sehr langsam zur Eingangstür. Diese Kreaturen konnten ihr weder Frieden noch Gnade schenken, und sie erinnerte sich an Elise’ Gesicht, Elise gefangen in den zuckenden Armen eines Wesens, das niemals sterben und sie ebenfalls nie sterben lassen würde.
    «Es sind nur deine Erinnerungen, die sie hier festhalten», flüstert eine der Stimmen hinter der Schlafzimmertür, eine geschlechtslose, hundekehlige Stimme wie Trockeneis und brennendes Stroh. «Das weißt du doch?» Chance spannt die Winchester und zielt auf die Tür, die Tür und die Behelfsbarrikade aus Möbeln.
    «Deine Schuldgefühle», sagt es, und unten ist Lachen zu hören.
    «Halt’s Maul!» Sie hat den Finger am Abzug, will abdrücken, aber dann gäbe es ein Loch, einen Weg zu ihr hinein, ein Guckloch, um hinauszusehen, also starrt sie doch lieber nur den langen Lauf des Gewehrs entlang auf die Tür.
    «Wenn du ihr wirklich helfen willst, zielst du mit dem Ding in die falsche Richtung, kleines Schweinchen», sagt die Stimme; das Gelächter unten wird lauter, wird hysterisch, das Lachen eines Irren, das sich den Weg durch den Holzfußboden bahnt und das Schlafzimmer erfüllt wie schlechte Luft.
    «Du musst es nur umdrehen. Mach die Tür auf, und wir zeigen es dir. Mach die Tür auf, Chance, und wir machen es für dich.»
    Und dann kratzt wieder etwas unten an der Tür, ein entschlossenes Kritsch, Kritsch, Kritsch stahlscharfer Krallen auf dem alten Holz. Ohne die Winchester sinken zu lassen, hastet Chance rückwärts, weg von dem Geräusch, instinktiv weg von der Tür, hin zum Fenster und dem heller werdenden Licht der Morgensonne.
    «Es tut nur ein paar Sekunden lang weh, und danach wird dir nie wieder etwas wehtun.»
    «Du kannst genauso sterben», sagt sie zu der Stimme, dem kratzenden Ding, und das weiß sie, weil sie unten schon zwei von ihnen erledigt hat. Ihr blieb gerade noch genügend Zeit, um das Gewehr zu suchen und die Schachtel mit der Munition im Zimmer ihres Großvaters, bevor sie ins Haus eingedrungen sind. Sie lud die Winchester so schnell sie konnte, und als sie wieder aufsah, beobachteten sie zwei der Kreaturen auf dem Flur. Die Schrotkugeln zerfetzten sie, flogen mit lautem Gebrüll durchs Haus, und obwohl inzwischen Stunden vergangen sind, dröhnen Chance noch immer die Ohren.
    Von der anderen Seite der Schlafzimmertür ist ein tiefer, stockender Atemzug zu hören, oder aber es ist der Wind, der einen Sommersturm ankündigt, und das Lachen unten erstirbt so plötzlich, wie es begann. Das Kratzen hört ebenfalls auf, aber Chance lässt das Gewehr nicht sinken. Die Arme tun ihr weh, die Arme und die Schultern, und die Winchester erscheint ihr inzwischen so schwer, als wäre sie ganz aus Stein. Trotzdem richtet Chance sie weiter auf die Tür, die weiße Tür, unter deren Klinke ein Stuhl geschoben ist, davor eine Kommode und das Kopfteil des Betts.
    «Liebes, gutes kleines Schweinchen», flüstert es. «Kannst du mich nicht hören, kleines Schweinchen? Hörst du mir nicht zu?» Chance rutscht noch einen halben Meter weiter fort von der Tür, in den einfallenden Sonnenschein, der ihr das Gesicht wärmt. Sie hat bis jetzt nicht einmal gemerkt, wie kalt ihr war, nicht gewusst, wie müde sie war, und sie dreht den Kopf in die Sonne, lässt sich das Gesicht vom strahlenden Tageslicht küssen. Mit geschlossenen Augen saugt sie das Licht auf, es ist wie eine Medizin, eine starke Medizin gegen den Wahnsinn.
    Und das ist hier doch wohl das Problem, anders kann es gar nicht sein, überlegt sie, das ist alles viel zu absurd, als dass es eine andere Möglichkeit gäbe. Eine Verrückte, die sich mit einem Gewehr allein in ihrem Haus eingesperrt hat, Stimmen hört und irgendwelchen Mist sieht, den es gar nicht gibt. Wenn sie wirklich die beiden Schüsse abgegeben hätte, an die sie sich zu erinnern glaubt, hätte das jemand gehört, Mr. Eldridge von nebenan hätte die Polizei gerufen. Das hier ist lediglich das Ergebnis der letzten Monate, Elise war eigentlich schon zu viel für sie gewesen, und Dancy hat ihr endgültig den

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