Fossil
und Rillen in den Brettern der Veranda und die lose, nur noch halb in den Angeln hängende Tür.
Er ruft nach Sadie, schreit ihren Namen zweimal so laut er kann, dreimal, ohne dass eine Antwort käme, dann erst zieht er den Revolver, steigt vom Impala auf die Veranda, und das Holz knarrt unter seinen Füßen. Hinter ihm springt das Dach des Impala geräuschvoll wieder zurück in seine alte Form. «Sadie!», schreit er wieder. «Verdammt, kann mir jemand mal antworten!» Aber der Morgen ist ruhig und still, kein Vogel, keine Insekten, nicht einmal der Autolärm von der 16. Straße vermag den Fluch zu brechen.
Deacon spannt den Hahn, macht einen Schritt auf die Tür zu und noch einen, und jetzt kann er erkennen, dass die Rillen nicht an der herausgerissenen Türschwelle enden, sondern dass die Kratzer im Haus verschwinden, als ob jemand eine schwere eiserne Harke mit ihren Zacken über das Holz geschleift hätte.
Oder Klauen, denkt er, Klauen könnten das gewesen sein, wie die Kratzer, die der Anhalter auf der Motorhaube von Sodas Auto hinterlassen hat. Er umklammert den Griff der Pistole mit beiden Händen, kalter Stahl und glattes Plastik an seiner schwitzigen Haut, und er folgt den Spuren ins Haus.
Chance sitzt mit dem Rücken zur Wand, drückt sich in die Ecke, wo vorher ihr Bett stand, bevor sie es auseinandergebaut hat, um die Barrikade zu errichten. Von hier aus kann Chance Fenster und Tür gleichzeitig im Auge behalten, so ist sie vor weiteren hässlichen Überraschungen sicher. Keine Ablenkungsmanöver mehr, damit sie in die falsche Richtung schaut, während sich etwas von hinten anschleicht. Auf dem Fensterbrett kleben ein paar Fleischfetzen und Knorpel, grünschwarz wie eine reife Avocado. Ein paar ölige Spritzer haben Chance am Arm und im Gesicht getroffen, aber der größere Teil des Dings ist auf der Dachseite geblieben. Sie hat die Schachtel mit den 20er-Patronen auf dem Schoß liegen und zielt mit dem Gewehr abwechselnd auf die Tür und das kaputte Fenster, hat den Lauf auf die Knie gestützt, um es so etwas leichter für ihre Arme zu machen.
Die kratzenden und schnüffelnden Geräusche haben aufgehört, von der Treppe ist, seit sie abgedrückt hat, nichts mehr zu hören, vielleicht sind sie also fort. Vielleicht ist heute ihr Glückstag, und die haben noch etwas Besseres vor, als sich nacheinander umschießen zu lassen. Oder Chance kann ganz einfach nichts mehr hören, weil es mittlerweile so laut in ihren Ohren dröhnt, dass sie möglicherweise für den Rest ihres Lebens taub bleiben wird. Ihr rechter Arm und die Schulter tun höllisch weh vom Rückstoß, wahrscheinlich hat sich bereits ein Bluterguss gebildet, und es fühlt sich an, als wäre dort etwas gebrochen oder ausgerenkt.
«Hör auf sie, Chance, bitte.» Sadie steht an der gegenüberliegenden Zimmerseite im Schatten. Alles an ihr ist noch genauso wie letztes Mal, als Chance sie gesehen hat: das gelbe Hemd aus dem Schrank ihres Großvaters, die zu großen Stiefel an den Füßen, das schwarze Haar, das aussieht, als hätte es nie Bekanntschaft mit einem Kamm geschlossen. Und Blut. Haut und Kleidung sind voll von getrocknetem Blut, als hätte Sadie in dem Zeug gebadet, wie bei jemandem, der darin ertrunken und jetzt zurückgekommen ist, eine Ophelia der Schlachthöfe, und als sie den Mund öffnet, um etwas zu sagen, läuft es ihr von den Lippen und übers Kinn.
«Sie wollen nur, dass wir nicht an sie denken», sagt Sadie, unterbricht sich und massiert ihre linke Schläfe, als ob sie Kopfschmerzen hätte oder angestrengt versuchte, sich an etwas Wichtiges zu erinnern, das sie vergessen hat. «Unsere Gedanken ziehen Kreise in der Welt.»
«Du bist nicht Sadie Jasper.» Chance legt an und zielt jetzt auf Sadie statt auf die Tür oder das Fenster. «Ich weiß, ich soll dich für Sadie halten, aber das bist du nicht.»
Wieder reibt Sadie sich über die Stirn, ganz gleich, ob die Geste nun Schmerz oder angestrengte Konzentration ausdrückt, diese kastanienglatte Maske gibt sich jedenfalls als ihr Gesicht aus, eine groteske Parodie einer Sadie, die versucht, ein Wort herauszubekommen, das ihr auf der Zungenspitze liegt. Etwas, das sie noch vor einer Sekunde gewusst zu haben scheint. Einen Moment lang starrt sie auf den Boden, bevor sie Chance wieder ansieht.
«Ich habe ihnen gesagt, dass ich so keine Sadie abgebe. Nicht so. Aber sie haben mich gezwungen. Bitte, Chance. Sie lassen mich nicht gehen, sie lassen keinen von uns gehen, bis niemand
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