Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
Vom Netzwerk:
Sichel violetten Sonnenlichts über dem Wald. Er legt den Rückwärtsgang ein und rattert zurück auf die Eleanore Road.

KAPITEL 13
    IM TUNNEL
     
     
     
    Morgengrauen. Chance sitzt allein auf dem Fußboden in ihrer Dachkammer, in dem weißen Haus, das ihr Urgroßvater gebaut hat, mit einer geladenen Schrotflinte über den Knien, neben ihr eine halbleere Packung Munition, und sie lauscht auf die Geräusche, die noch immer von der anderen Seite der Tür kommen. Rastlose schnüffelnde Tierlaute auf der schmalen Treppe, die zum Boden führt, und ab und zu leise Stimmen und andere, schwer zuzuordnende Geräusche aus den unteren Stockwerken. Draußen wird der Himmel endlich wieder blau, das Mauve des ersten Lichts wandelt sich in blassestes Graublau, dann besprenkelt die Sonne die Blätter mit wechselnden wärmeren Farben, Honig und Bernstein auf dem sommerlichen Grün. Im großen stadtverstopften Tal unten spiegelt sich die Sonne hell in den entfernten Fenstern der Cityskyline, der hohen, spukfreien Glastürme einer rationaleren Welt. Dies ist kein Zombiefilm, da hätte Chance die Nacht überlebt und würde nun darauf warten, dass der klare neue Tag die Monster verjagt. Nein, so läuft das überhaupt nicht. Das hat sie allerdings auch schon erwartet, denn die Stimmen erzählen ihr seit Stunden, dass ihnen das Sonnenlicht nichts ausmacht. Sie mögen es zwar nicht, aber aufhalten kann es sie nicht, nichts kann sie aufhalten, und Chance wüsste keinen Grund, weshalb sie ihnen nicht glauben sollte. Sie haben ihr auch klar gesagt, dass Sadie und Deacon nicht zurückkommen. Dass sie allein ist, und damit haben sie ja recht, warum sollte das mit der Sonne dann nicht ebenfalls stimmen? Der schmale gelbe Streifen Sonnenlicht, der durch das Schlafzimmerfenster fällt, zeigt lediglich an, wie viel Zeit vergangen ist, seit Deacon Chance verlassen hat. Mindestens vierundzwanzig Stunden muss es nun her sein, obwohl sie sich bei der genauen Zeit nicht vollkommen sicher ist. Deacon und Sadie waren beide bereits fort, als Chance am Montag aufwachte. Sie rief daraufhin in Deacons Wohnung an und ließ es ganze vierzehn Mal klingeln, bevor sie endlich wieder auflegte. Der Montag war also ohne weitere sonderbare Ereignisse verstrichen, einmal abgesehen von ihrem anhaltenden Gefühl, aus einem langen Albtraum erwacht zu sein. Vielleicht hätte sie sich sogar selbst davon überzeugen können, alles war ja auch wie in einem bösen Traum gewesen, aber es existierten zu viele unbestreitbare Beweise, die dagegen sprachen: ihr zu Schrott gefahrenes Auto, Dancy Flammarions übel zugerichteter Seesack auf dem Küchentisch und die Beowulf- Ausgabe auf ihrem Nachttisch, Sadies blutige Klamotten im Badezimmer, das Notizbuch. Diese bitteren Erinnerungsstücke verleihen Chance’ Wahnsinn Gestalt, bestätigen ihre Verrücktheit, und dann auch noch Alice Sprinkles Nachricht auf dem Anrufbeantworter, nachdem sie Chance’ Wand- und Deckenmalereien im Labor entdeckt hat.
    «Nein, ich rufe nicht die Polizei», hat sie gesagt. «Das nicht.» Aber sie würde unverzüglich die Schlösser auswechseln lassen, und dann hinterließ sie noch die Telefonnummer eines Psychiaters.
    «Bitte, Chance, du musst dir helfen lassen, es tut mir wirklich leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte.»
    Und genau darüber dachte Chance gerade nach, als es losging, als es kurz nach Mitternacht schon wieder losging. Sie saß auf der Verandaschaukel, trank eine Cola und starrte in der Dunkelheit auf den demolierten Teil des Hauses, dorthin, wo ihr Auto noch immer unter den geborstenen und hochstehenden Brettern steckte. Währenddessen dachte sie darüber nach, wie schnell ihr ihr Leben vollkommen entglitten war und dass sie nichts unternehmen konnte, um es sich zurückzuholen. Sie überlegte gerade noch einmal, was Alice gesagt hatte, und welche Konsequenzen das alles haben würde, als sie die roten Augen bemerkte, die sie vom anderen Ende des Gartens beobachteten. Augen wie glühende Kaminfunken, und sie starrte erst einfach nur zurück, ohne wirklich zu begreifen, zu leer und gefühllos war sie, um die Gefahr zu erkennen. Dann rückten sie näher auf das Haus zu, langsam schleichend wie eine Katze, eine Katze, die ein kleines wehrloses Tier jagt, Chance konnte jetzt ihre ungefähren Umrisse erkennen, doch selbst da bewegte sie sich nicht, sondern blieb sitzen und schaute zu, wie sie über den Rasen auf sie zukrochen.
    Kommt, dachte sie, und vielleicht konnten sie die

Weitere Kostenlose Bücher